Rassismus in Alabama: Ein ungewöhnlicher Hilferuf
US-Gewerkschaften und Bürgerrechtsorganisationen wollen die Daimler AG dazu bewegen, sich mit ihnen gegen ein einwandererfeindliches Gesetz in Alabama einzusetzen.
BERLIN/WASHINGTON taz | Die Menschenrechtlerin Renata Soto steht am Mittwoch am Redepult auf der Hauptversammlung von Daimler in Berlin und appelliert an das Gewissen des Managements: „Fordern Sie eine Aufhebung des HB-56-Gesetzes!“ In der Messe hören Menschen Renata Soto teils gelangweilt, teils interessiert zu. Doch am Ende haben die AktionärInnen geklatscht, erzählt Renata Soto später.
Es ist ein ungewöhnlicher Hilferuf: von Gewerkschaften und Bürgerrechtsorganisationen an mehrere internationale Automobilkonzerne. Weil Daimler, aber auch Honda und Hyundai in Alabama große Produktionsanlagen betreiben, gelten sie als potenzielle Alliierte, um das Einwanderungsgesetz zu kippen.
Um die drei Konzerne einzuschalten, entfalten die AktivistInnen seit Anfang des Jahres intensive Schreib- und Reiseaktivitäten. Vergangenen Monat reisten die AktivistInnen zur Hauptversammlung von Hyundai nach Südkorea. Am Montag dieser Woche haben sie eine Beschwerde über das Gesetz HB 56 an die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) geschickt. Und im kommenden Monat wollen sie Honda besuchen.
Am 19. Januar gingen zudem drei fast gleichlautende Briefe nach Tokio, Seoul und Stuttgart – an die Vorstandsvorsitzenden von Honda, Hyundai und Daimler. Die UnterzeichnerInnen – darunter die Vorsitzenden großer Gewerkschaften wie United Auto Workers UAW und Service Employees International Union SEIU – bitten darin um Termine mit den Spitzenmanagern.
Aus Stuttgart, wo „CEO Dr Dieter Zetsche“ der Empfänger des Briefes war, ist bislang nach Auskunft der SEIU keine Antwort gekommen. Auf Anfrage der taz teilt Daimler-Pressesprecher Markus Mainka mit: „Zu einer Hauptversammlung können sich nur Aktionäre anmelden.“ Mit dieser Regel sind die AktivistInnen aus den Vereinigten Staaten vertraut. Für die Daimler-Hauptversammlung haben AktionärInnen den US-AmerikanerInnen ihr Rederecht übertragen. Kupfer und ihre beiden KollegInnen nutzen es, um die AktionärInnen für ihre Zwecke zu gewinnen.
Daimler genießt das Gehör der Regierung
Ihre Argumente: Das Werk bei Tuscaloosa hat massive staatliche Subventionen erhalten. Es ist eins der Hauptarbeitgeber in der Region. Daimler genießt das Gehör der Regierung des Bundesstaates. Und: Der Konzern ist eine Verpflichtung eingegangen. Unter anderem werden die Besucher aus den USA sich auf einen Vertrag der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2000 berufen. Der Global Pact, den Daimler unterzeichnet hat, besteht aus zehn Prinzipien zum Schutz der Umwelt, zur Bekämpfung von Korruption und zur Verteidigung der Menschenrechte.
Daimler rühmt sich seines Engagements. Die Gewerkschaften und BürgerrechtlerInnen argumentieren, dass HB 56 sowohl das Recht auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit als auch jenes auf gleichen Zugang zu gewerkschaftlicher und anderer Interessenvertretung verletzt (mehr dazu auf der Webseite www.repealHB56.org).
„Eigentlich hätte Mercedes schon im vergangenen November gegen das Gesetz protestieren müssen, als ein Mercedes-Manager wegen HB 56 in Polizeihaft kam“, sagt Kupfer. Sie hofft, dass die globale Kampagne, die ihre Organisation, America’s Voice, zusammen mit anderen Menschenrechtlern durchführt, dazu führt, dass Daimler endlich Position bezieht. „Rassismus“, so eines der Argumente der AktivistInnen, „ist schlecht für das wirtschaftliche Klima in Alabama.“
Unterstützung aus Deutschland
Die Aktion der US-Aktivisten ist ein Alleingang. Aber mit der Sympathie der Gewerkschafter in Deutschland können sie rechnen. Silke Ernst, Sprecherin des Gesamtbetriebsrates der Daimler AG: „Wir haben sehr kurzfristig von der Aktion (gegen HB 56 am Rande der Hauptversammlung) erfahren. Grundsätzlich halten wir es für richtig, dass sich unsere Freunde aus der US-Gewerkschaftsbewegung gemeinsam mit Menschenrechtsgruppen gegen mögliche Menschenrechtsverletzungen einsetzen.“
Die Kritik der US-Gewerkschafter und Bürgerrechtler richtet sich nicht nur an die Regierung des Bundesstaates Alabama. In der Beschwerde an Juan Somavia, Generaldirektor der ILO, erwähnt Mary K. Henry, SEIU-Präsidentin auch die Untätigkeit von Präsident Barack Obama. „Wir glauben, dass die Unfähigkeit der Regierung der Vereinigten Staaten, umgehend und entschlossen zu handeln, um die bundesweite Politik bezüglich Immigration umzusetzen, […] es einzelnen Bundesstaaten ermöglicht hat, Gesetze zu verabschieden, die eklatant internationale Standards verletzten.“
Für die 2,1 Millionen Mitglieder starke SEIU, die zu den verlässlichsten Alliierten des demokratischen Präsidenten gehört, ist das ein scharfer Ton.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen