Rassismus bei den EM-Gastgebern: „Ein paneuropäisches Problem“
Fremdenfeindlichkeit ist ein fester Bestandteil der Fankultur in Polen und der Ukraine. Der Sozialwissenschaftler und „Never-Again“-Aktivist Rafal Pankowski kämpft seit langem dagegen.
taz: Herr Pankowski, immer wieder kommt es zu rassistischen Exzessen im polnischen Fußball. Wann gab es zuletzt fremdenfeindliche Vorfälle?
Rafal Pankowski: Der letzte Fall stammt vom vergangenen Wochenende, als die Fans eines polnischen Klubs antisemitische Gesänge angestimmt haben. Es ist bitter, dass so etwas fast jede Woche in Polen und der Ukraine passiert. In der ersten Liga werden rassistische Symbole aber seltener als noch vor fünf Jahren präsentiert. Außerdem ist es nun sehr viel wahrscheinlicher, dass von offizieller Seite und der Presse reagiert wird. Das ist auch ein Erfolg der Arbeit von Fare und Never Again. Für die unteren Ligen, da, wo es schwieriger zu kontrollieren ist, haben wir etwas mehr Hinweise auf rassistische Vorfälle. Die Situation hat sich zwar insgesamt verbessert, aber in unseren Augen nicht schnell genug, um zu sagen, zur EM ist nicht mit rassistischen Vorfällen zu rechnen.
Was unternimmt der Polnische Verband gegen Rassismus in den unteren Ligen?
Wir haben ein spezielles Toolkit für Vereine erstellt. Das soll helfen, Rassismus im Stadion zu erkennen und darauf zu reagieren. Das findet von der ersten bis zur untersten Liga Anwendung. Wir wünschen uns aber schon eine aktivere Einstellung aufseiten der Verbände und Vereine. Es ist wichtig zu reagieren und rassistische Handlungen zu bestrafen.
ist promovierter Sozialwissenschaftler und Dozent am Collegium Civitas in Warschau. Bei der Organisation Never Again engagiert er sich seit 1996 gegen Rassismus in Polen. Als Koordinator des East European Monitoring Center ist er verantwortlich für die Kampagne "Respect Diversity - Football Unites" während der Fußball-Europameisterschaft. Sie wird am 8. Juni mit dem Spiel Polen gegen Griechenland im neuen Warschauer Nationalstadion eröffnet.
***
Für Respekt
Fare: Das Netzwerk Football Against Racism in Europe (Fare) wurde 1999 in Wien gegründet. Fare kämpft in über 40 Länder gegen Rassismus und Diskriminierung im Fußball. Zentrales Ziel von Fare ist es, Menschen zu motivieren, gegen Fremdenfeindlichkeit aktiv zu werden, sodass alle am Fußball teilhaben können.
Never Again: Seit 20 Jahren dokumentiert die polnische Organisation Fälle von Rassismus in Polen.
Monitoring: Während der Fußball-EM kooperieren Fare und Never Again mit der Uefa im
Rahmen der "Respect Diversity"-Kampagne. In einem Monitoringprogramm werden dann fremdenfeindliche Vorkommnisse zusammengetragen und öffentlich gemacht.
Coaching: Fare und Never Again führen Workshops an Schulen durch, um ein Bewusstsein für rassistische und diskriminierende Sprache zu schaffen. In Trainings werden die Ordnungskräfte in und um die Stadien für rassistische Banner und Symbole sensibilisiert. (taz)
Wenn Sie rassistische Vorfälle beobachten und darüber berichten, greift dann der Verband unverzüglich durch?
Es ergibt sich da kein einheitliches Bild. Es gibt Beispiele für Bestrafungen durch den Verband. In der Regel werden Geldstrafen für rassistisches Verhalten in Stadien ausgesprochen. Oft handelt es sich da um antisemitisches Verhalten. Es gibt aber auch andere Fälle, in denen keine Strafen ausgesprochen werden, und es ist natürlich Teil unseres Engagements, die Aufmerksamkeit auf diese Fälle zu lenken.
Wie sieht Ihr Engagement zur EM aus?
Während des Turniers wollen wir nicht nur versuchen, die Zahl rassistischer Vorfälle möglichst klein zu halten. Es ist uns auch wichtig, dass in angemessener Weise öffentlich gemacht wird, wenn es zu Fällen von offenem Rassismus kommt. Es ist keine neue Erkenntnis, dass es Rassisten im Umfeld des polnischen und ukrainischen Fußballs gibt. Wichtig ist, dass angemessen darauf reagiert wird und die Vorfälle nicht ohne Folgen bleiben.
Rassismus gibt es in vielen Ländern. Warum aber hat man den Eindruck, dass er in Polen und der Ukraine offener zur Schau gestellt werden kann?
Die Situation hat sich in den letzten Jahren verbessert, aber es muss sowohl in Polen als auch in der Ukraine noch viel getan werden. Aber Rassismus ist ein paneuropäisches Problem. Es ist falsch, mit dem Finger nur auf dieses oder jenes Land zu zeigen.
Wie kann die EM im Kampf gegen Rassismus helfen?
Sicherlich stehen die Bürger Polens und der Ukraine nicht nur hinsichtlich der EM, sondern auch für die Zeit nach dem Turnier in der Verantwortung, alles Menschenmögliche zu tun, um Rassismus zu minimieren. Es reicht nicht, nur während des Turniers eine Kampagne gegen Rassismus zu starten, und danach ist dann alles wieder egal. Die Zeit nach der EM ist wichtig, und es bleiben Fortschritte im Kampf gegen Rassismus als positives Vermächtnis des Turniers.
Was wird konkret getan?
Wir organisieren Trainings für Stewards, die bei den Spielen eingesetzt werden. In Polen haben wir bereits 7.000 Menschen ausgebildet. Diese Menschen werden hier bleiben und auch nach der Europameisterschaft für Klubs und in der polnischen Liga arbeiten. So kann unser Engagement über das EM-Turnier hinaus wirken und positive Effekte auf die polnische Fußballkultur insgesamt haben.
Können die Stadien in Polen und der Ukraine durch die EM offenere Orte werden, sodass auch mehr Familien, ältere Menschen und Frauen zu den Spielen kommen?
In Polen und der Ukraine hat man sehr schöne große Stadien für die EM gebaut. Die Ligaspiele besuchen aber nur wenige Menschen, vor allem in Polen. Zum Teil liegt das daran, dass der Gang ins Stadion in den vergangenen Jahren als gefährlich oder zumindest als unangenehm galt. Im Zuge der EM ändert sich die Fankultur in Polen und der Ukraine hoffentlich und wird offener und toleranter.
Gibt es in Polen und der Ukraine Klubs, die sich explizit antirassistischen engagieren?
Leider sind Fangruppen einzelner Vereine meist eher rechts. Einige Fanvereinigungen der größten polnischen Clubs sind sogar sehr stark rechts orientiert. Am 11. November letzten Jahres, dem polnischen Unabhängigkeitstag, unterstützten einige Fangruppen den Marsch der Rechtsextremisten durch Warschau. Es gibt aber auch positive Beispiele wie Arsenal Kiew, einen Erstligisten, dessen Fans stark antirassistisch engagiert sind. Aber das ist eher die Ausnahme als die Regel.
Könnten sich Fangruppen zusammentun und eine Erklärung gegen Rassismus abgeben?
Eine Erklärung ist nur ein Stück Papier und bedeutet erst mal nicht viel. Wir möchten, dass sich Fangruppen aktiv gegen Rassismus engagieren. Wir sind da ambitionierter. Grundsätzlich sagen wir immer, wenn wir im Dialog mit Fans sind, dass passive Akzeptanz eine Form der Unterstützung von Rassismus ist.
Wie kann das gehen?
Wir arbeiten zunehmend mit Vereinen zusammen. Im Oktober letzten Jahres fand eine Aktionswoche in ganz Europa statt. In Polen haben erstmals alle Erstligisten ein antirassistisches Statement abgegeben, und die Spieler haben den Platz mit einem Banner mit der Aufschrift „Kickt Rassismus raus aus den Stadien“ betreten. Die Kinder, die die Spieler aufs Feld begleitet haben, trugen T-Shirts mit Slogans gegen Rassismus. Das war ein echter Schock für viele Hardcorefans, die so etwas noch nie zuvor im Stadion gesehen hatten. Das war großartig. Viele Vereine veröffentlichten antirassistische Statements auf ihren Homepages. Das war ein historischer Moment.
Werden Sie eigentlich für Ihr Engagement auch persönlich angegriffen?
Leider ja. Aber daran muss man sich gewöhnen. Allerdings lassen wir uns dadurch nicht beirren, wir machen einfach weiter. Wir sind froh über die konkreten Ergebnisse unserer Aktivitäten. Aber auch heute kann man wieder feindselige Kommentare und Artikel auf Fan-Sites lesen, gegen antirassistisches Engagement, gegen Fare und Never Again. Aber wir lassen uns nicht verunsichern, auch wenn es unangenehm ist, wir machen weiter.
Es ist also nicht jeder glücklich über Ihr Engagement?
In gewisser Weise zeigt das ja, dass wir einen sehr empfindlichen Punkt treffen. Wenn sich niemand von uns gestört fühlt, ist unsere Arbeit sinnlos. Die rechtsextremen Fangruppen ärgern sich über uns, und das zeigt, wir sind auf dem richtigen Weg. Allerdings bekommen wir auch viel Unterstützung und Solidaritätsbekundungen, die uns motivieren weiterzumachen.
Was geschieht jetzt noch bis zur EM?
Es ist eine sehr anstrengende, aber auch aufregende Zeit. Wir haben ein großes Weiterbildungsprogramm, viele Coachings mit Trainern und Lehrern. Und es gibt eine Aktion, die „Inclusive Zones“ heißt. Diese Kampagne bezieht auf Postern und Stickern Stellung gegen Rassismus und Diskriminierung und findet im Rahmen der „Respect Diversity“-Kampagne der Uefa statt. Wenn Fans im Juni nach Polen und in die Ukraine kommen, werden sie Poster und Sticker vorfinden, die ihnen sagen, dass dieser Ort friedlich und tolerant ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Wir unterschätzen den Menschen und seine Möglichkeiten“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten