Rap im Klassenzimmer: Isch mach disch Bildung
Neue Wege gegen den Bildungsnotstand. Zwei junge Berliner verpacken in ihrem Projekt "Rapucation" Lehrplaninhalte in Musiktexte. Das gefällt den Schülern - und funktioniert.
Robin Haefs ist ein komischer Lehrer. Wenn er in eine Klasse kommt, dann kann es passieren, dass er lange Beifall bekommt. Er hält sich dann das Mikro vor die Lippen und beschwichtigt seine Fans, diesmal sind es die Schüler der Reinhardswald-Grundschule in Berlin.
"Sechs Milliarden Menschen denken, sie wären alleine, und es wird immer enger, verdammt", singt der 28-jährige Lehrer, der eigentlich gar keiner ist. Obwohl ihm die Kids der 21. Grundschule des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg zu Füßen liegen. Robin Haefs verdient seine Brötchen mit Texten, er ist professioneller Rapper.
In "Unser Berlin" rappt er von der Stadt, die von Teilung und Krieg zerrissen wurde. Die Hauptstadt von Preußen war. "Endlich, nach vier Jahren, ist der 1. Weltkrieg beendet. Es entsteht die Weimarer Republik, natürlich in Berlin."
Beim Thema Rapmusik denkt man an alles Mögliche. Bloß nicht ans Lernen. Bei Robin Haefs und seinem Partner Vincent Stein ist das anders. "Wie soll denn so ein Kiddie aus Neukölln Bock haben auf Schule, wenn ihm gar nichts geboten wird", sagt Haefs. "Wenn mir früher ein Kumpel was erklärt hat in seiner Sprache, dann war es viel leichter für mich, das zu verstehen, als wenn es mir der Lehrer verklickern wollte", ergänzt Stein.
Haefs und Stein verbinden etwas, was eigentlich nicht zusammen geht. Der Musiker und der Texter verknüpfen Rap und Bildung und nennen das kurz: "Rapucation".
Beide sind in der Rapszene alles andere als Unbekannte: Stein, alias "Beatzarre", produziert und remixt seit 1999. Unter anderem für Labels wie Ich+Ich und Aggro Berlin. Er steht bei Universal Music Publishing unter Vertrag. Haefs ist seit 1998 aktiver Rapper, Mitbegründer des Künstlerverbands "Springstoff". In der Szene ist er unter dem Namen "Mad Maks" bekannt, er hat Live-Auftritte im gesamten deutschsprachigen Raum. Zurzeit arbeitet er an seinem zweiten Soloalbum.
Die Idee für Bildungsrap entstand 2006. Haefs schrieb gerade an seiner Abschlussarbeit zum "Bachelor of Multimedia Arts". Es fehlte aber noch ein geeigneter Produzent. "Ich dachte damals an Vincent und erhielt überraschenderweise sofort eine Zusage", erinnert er sich.
Die beiden Jungs sind weit davon entfernt, Rapper wie Bushido verteufeln zu wollen. "Ein Stück weit identifiziere ich mich auch mit Bushido, wenn ich ihn in einer Talkshow sehe", sagt Haefs. "Ich habe ja auch einmal so angefangen, kenne die Leute und ihren Hintergrund."
Irgendwann habe er aber gemerkt, dass man zwar ständig von Frauen, Sex und Drogen rappen könne. Dass die Realität in der Regel aber anders aussehe. Haefs ist überzeugt, dass die Kids mit der Zeit auch die negative Stimmung, die Glorifizierung des Ghettos, die immer wieder in Raptexten auftaucht, in ihr Leben übernehmen. Geld verdienen muss man auch mal - "wenn es geht, mit etwas Sinnvollem".
Stein und Haefs geht es bei ihren Songs um Authentizität. Vom Lehrer vor der Klasse vorgetragener Sprechgesang wirke peinlich. Dagegen klingen die Songs von Rapucation mit Titeln wie "Europa" oder "Mutter Erde" allemal echt. Statt "Wir haben nur die Erde, wir haben nur die eine, sechs Milliarden Menschen denken, sie wären alleine" könnte man sich als Text auch durchaus "Ich bleib der King auf dem Pausenhof in deim Block, pausenlos im I-Pod, draußen fick ich dein Kopf" vorstellen. Schon wäre man mitten in einem Rap von Bushido.
Anerkennung gibt es bei Eltern, Lehrern - und aus den eigenen Rapperreihen. Respekt - da hätte man auch früher drauf kommen können. Was die Jungs am meisten freut: Auch Schülerinnen gaben dem Projekt bei einer wissenschaftlichen Studie im Frühjahr 2007 gute Noten. Sogar Kinder, die Rap nicht mochten, konnten der Musik plötzlich etwas abgewinnen.
Rapucation-Songs sind als moderne Eselsbrücke gedacht. Im Unterricht gibt es leider immer noch viele Fakten, die man auswendig lernen muss, sagt Haefs. Bei den Raps von Haefs und Stein gliedert sich das jeweils in den Song ein, etwa wenn die Schüler zu den Jahreszahlen 1701 und 1871 hin und her wippen. In diesen Jahren wurde Berlin Hauptstadt von Preußen beziehungsweise des Deutschen Reichs - das brennt sich in die Köpfe der Kids.
Vincent Stein arbeitet bei der Produktion der Musik gezielt mit bewusst ausgesuchten Klangstücken oder Geräuschen. Uhrenticken unterstreicht die Phase des Pflanzenwachstums im Song "Fotosynthese". Die Wirkung soll unterbewusst wahrgenommen werden, ähnlich wie bei Filmmusik. Auch Robin Haefs kann beim Reimen durch bestimmte Muster schneller "in den Flow" kommen. Beide Rapucation-Mitglieder wollen keine anstrengende, trockene Wissensvermittlung, ihre Musik soll Spaß machen - auch ohne Text.
Was 2006 mit der Bachelor-Arbeit von Haefs begann, wird gerade mit einem Schulbuchverlag verhandelt. Weil nicht jeder Schüler besser lesend lernt, ermöglicht eine Bildungsrap-CD vielleicht künftig auditives Lernen als alternatives Lehrmittel.
Gedacht sind die Lieder für den Unterricht, anstelle von Hausaufgaben oder auch zum Anhören in der Freizeit. Die Lehrpläne aller Bundesländer in Rapsongs zu verpacken, könnte für beide zu einer Lebensaufgabe werden. "Wenn das Geld stimmt - warum nicht!", sind sich die beiden einig. Allerdings wünscht sich Haefs dann Unterstützung von den Lehrern - damit die Recherchearbeit nicht mehr so viel Zeit in Anspruch nimmt.
Die Rapucation-Macher können sich vorstellen, zur Unterstützung andere Rapper mit ins Projekt zu holen. Allerdings glaubt Haefs, dass nicht jeder Rapper das könnte. "Es muss eine Geschichte von vorne bis hinten erzählt werden, und es können nicht einfach sinnlose Zwischenzeilen eingefügt werden, nur damit es sich am Ende reimt."
In "Unser Berlin" heißt es: "Die Deutschen folgen Hitler und glauben an den Endsieg." Später wird ein Originalton von JFK eingemixt. "Isch bin ein Biliner." Und die Schüler der Reinhardswald-Grundschule toben - und verstehen ein bisschen mehr von ihrer Stadt.
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