Ranicki, Hage etc.: Spiegelfechten
■ Taz-Übung zu einem Übungsgespräch
Lau: Arme Spiegel-Redakteure. Jetzt kriegen sie nicht mal mehr ihr bißchen narzißtische Bestätigung, daß sie im Interview mit aufs Bild kommen, so schräg von hinten im Anschnitt, so Matussek-mäßig. Nicht einmal ihren Namen dürfen sie mehr drunterschreiben.
Häusler: Ich hab ja aus Hamburg läuten hören, daß Volker Hage das Interview mit Reich- Ranicki gemacht hat.
Lau: Aus sicherer Quelle? Das ist ja ein Ding. Der Hage ist doch ein Spezi vom Reich-Ranicki. Der hat den doch quasi großgezogen – Zeit-FAZ-Spiegel-Connection, kennt man doch, diesen endlosen Verschiebebahnhof.
Groß: Wie macht man wohl ein Interview, wenn man erst durch dick und dünn gegangen ist, quer durchs deutsche Feuilleton, zusammen gesoffen hat und so, quasi Sohn und Vater? Und dann sitzen sie sich gegenüber, und plötzlich ganz förmlich: „Marcel, ähh... Herr Reich- Ranicki, im Namen der bundesdeutschen Öffentlichkeit muß ich Sie jetzt mal ganz ernsthaft fragen: Wie war das eigentlich damals mit dem Geheimdienst?“
Häusler: Da verkrampft man sich doch, oder?
Groß: Sicher. Das muß man sich mal konkret vorstellen: der Hage mimt den Scharfmacher, und Reich-Ranicki schmettert ihn in seinem Quartett-Ton zusammen, daß er gar nichts begriffen hat von diesem Roman, den das Leben schrieb. Sitzen, sechs. So was will natürlich keiner veröffentlichen.
Häusler: Oder umgekehrt? Hage fragt nur laues Zeug. Erst recht peinlich.
Groß: Es sei denn, sie haben sich auf einen Show-Kampf verständigt. Alles ist vorher abgesprochen, und das Publikum dankt's trotzdem. Es sieht ja schön brutal aus. Da sagt dann zum Beispiel der Vater zum Sohn: Los, jetzt schlag mal richtig zu, es muß mindestens ein blaues Auge geben. Oder eine Platzwunde, damit das Publikum ein bißchen Blut gesehen hat und zufrieden nach Hause geht: Mensch, hast du das gesehen, linker Ausleger in der dritten Frage, also der Hage, echt kritischer Typ, der, Profi.
Häusler: Sie meinen so eine Art simuliertes Tribunal?
Brunst: Ja. Aber das sieht ja keiner, ist ja bloß schwarz auf weiß. Vielleicht haben sie sich auch einfach gesagt: Komm, erfinden wir's gleich ganz, das Ding, eine Erzählung in Gesprächsform gewissermaßen, da haben wir die bessere auktoriale Kontrolle.
Häusler: Befinden wir uns da nicht schon auf einem gefährlichen Paranoia-Trip?
Lau: Wie heißt es bei Burroughs: „Der Paranoiker ist der, der alle Fakten kennt.“
Groß: Eigentlich wäre es jetzt an der Zeit, daß der Spiegel seine Bänder freigibt. Die Reich-Ranicki-Hage-Tapes. Im Namen der bundesdeutschen Öffentlichkeit.
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