: Randgänge des Künstlerischen
■ Vorstellung eines aufregend „unzeitgemäßen“ Komponisten: Hans-Joachim Hespos, Ganderkesee / „Geschmatzte Impulse“, z.B. am 26.9.
Versucht man, in einschlägigen Musik-Enzyklopädien oder in der Literatur zur Neuen Musik nach 1945 Informationen über den Komponisten Hans-Joachim Hespos zu erhalten, so wird man weitgehendst enttäuscht: 1938 in Emden geboren, Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule Oldenburg mit anschließender Tätigkeit als Grundschullehrer, kompositorischer Autodidakt, Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre einige Förderpreise erhalten. Zur Musik heißt es meist nur lakonisch, sie sei keiner Schule oder einem System zuzuordnen, regellos. Wer nach bündigen Informationen zu diesem Thema verlangt, ist nach wie vor gezwungen, die zum Teil guten, aber über Jahrzehnte verstreuten Aufsätze sich mühevoll zusammenzusuchen.
Das schreiende Mißverhältnis zwischen der Bedeutung seines Werkes und dessen Ignoranz durch den Musikbetrieb dauert nun schon über 25 Jahre an, seit Hespos 1964 mit „Für Cello Solo“ seinen offiziellen OEvre- Katalog eröffnete. Kaum ein zeitgenössischer Komponist mußte so brutal am eigenen Leib erleiden, was Schönberg 1937 mit dem Titel eines Vortrages pointiert zum Ausdruck brachte; die Erfahrung nämlich, „wie man einsam wird“. Selbst die etablierten Musikeinrichtungen Bremens, das geographisch nicht eben weit von Delmenhorst — in dem Hespos ab 1968 wohnte, seit kurzem aber in Ganderkesee — entfernt ist, unternehmen erst seit kurzem zaghafte Annäherungsversuche an den Komponisten. Kennt man die überwiegend konservative Grundierung des Bremer Musik- „Lebens“, so ist dies allerdings nicht weiter verwunderlich.
Die Ablehnung, die Hespos widerfährt, ist zum Teil dadurch zu verstehen, daß sein Werk im Sinne Nietzsches „unzeitgemäß — das heißt gegen die Zeit und dadurch auf die Zeit und hoffentlich zu Gunsten einer kommenden Zeit — zu wirken“ ist. Konventionen unserer Zeit — gerade solche, die lediglich einen Brauch darstellen, oft aber als verpflichtende Norm betrachtet werden — sind eine ständige Reizquelle seines Widerspruchs.
Der rigorosen Forderung an die einzelnen Orchestermitglieder, aus der gesamten Partitur statt den geläufigen Einzelstimmen zu spielen, verdankt er nach wie vor die seltene Aufführung seiner Orchesterkompositionen. Und doch scheint ihm dies unabdingbar, wenn man die Musiker nicht nur als nützliche Idioten — die in den „Unzusammenhang einer Spielstimme verbannt“ sind — des Dirigenten betrachten will: „Das ist Ausbeutung und schlampige Tradition — solche Zustände gilt es abzuschaffen“ (Hespos). Als Donaueschingen, eine jener betulichen Neue-Musik-Lauben, für 1987 ein Auftragswerk bei Hespos bestellte, lieferte er prompt „Vif bi“. Das Stück besteht eigentlich nur daraus, daß die Instrumentalisten im chaotischen Organisations durcheinander lange keine Aufstellung zustandebringen, und zum Schluß wird dem Publikum ein kurzer, ordentlicher „Marsch“ um die Ohren gehauen. Dachte man eben noch, wann beginnt das Stück?, war dieses bereits vorbei.
„plappernde mein-ungen, bloße gewohnheiten“
Kaum jemand beherrscht so meisterlich wie Hespos — und darin ist er gelegentlich Thomas Bernhard ähnlich — das Stilmittel der Übertreibung, wenn es darum geht, die Zeichen unserer Zeit (“wir hängen fest in begriffen, sind eingefangen in systeme, üben bloße gewohnheiten aus, pflegen standpunkte, plappern mein-ungen, verkümmern zur harmlosigkeit“) in ihrer ganzen Lächerlichkeit preiszugeben. Von den Interpreten verlangen die Partituren Anstrengungen, die alles bislang Gewohnte überschreiten. „Harter Schrei, viehisch gebrüllt, brutal gesteigert“ lautet die eröffnende Spielanweisung für die Singstimme in dem 1970 komponierten Werk „Palimpsest“.
Neologistische Vortragsbezeichnungen fordern die schier grenzenlose Phantasie und die Bereitschaft des Ausführenden, das eigene Instrument — und darunter ist bei Hespos in der Regel immer auch der menschliche Körper zu verstehen — vorbehaltlos zu erkunden. „Geschmatzte Impulse, in sich quirlig vermanscht, preßstickend verkreischen, berst- zerrend verbrüllt, tibetanisch brummelnd geknarrt“, sind einige wenige Beispiele, mit denen er versucht, jeder denkbaren Nuance menschlich-musikalischen Ausdrucks habhaft zu werden.
Seine meisten Werke präsentieren sich als Randgänge des Künstlerischen, vom bloß instrumentalen Spiel hin zur Lyrik des ganzen Körpers, die selbstverständlich auch alle Regungen umfaßt: schockartige Aggressivität ebenso wie die zärtliche Geste. Die latente Komik des Auftritts- und Abgangsgehabes unserer Musikrituale findet ihren Widerhall in der slapstickartigen Übertreibung durch szenische Interpretationsanweisungen. Damit entziehen sich die Werke auch der phonographischen Reproduzierbarkeit. Hier muß man „ganz bei Sinnen“ sein, um zu begreifen. Hespos–sche Musikaufführungen sind heute für den Hörer so unvermeidlich wie unvergeßlich. H.Schmidt
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