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Archiv-Artikel

Ran an die Steuern

Neue Einnahmequellen, um den Staatshaushalt zu entlasten, gibt es genug. Die Bundesregierung müsste nur den Mut haben, sie anzuzapfen. Eine sparsame Übersicht

Die schwächelnde Konjunktur zeigt: Um eine Steuerdebatte wird die Regierung nicht herumkommenDie rot-grüne Koalition sollte ihrer Steuerfantasie keine ideologischenGrenzen setzen

Rot-Grün ist stolz auf den Ruf als Steuersenkungskoalition und will ihn bis zur Wahl 2006 erhalten. Weist ein Grüner – wie heuer Reinhard Loske – etwa auf uneingelöste Ökoversprechen hin, wird er prompt ausgebuht. Weist eine SPD-Ministerpräsidentin – wie heuer Heide Simonis – darauf hin, dass sie einen hoch gelobten Steuerumbauplan auf dem Tisch liegen hat, wird sie abgewatscht. In Ton wie Inhalt bedienen die rot-grünen Spitzen die Antisteuerideologie, wonach der Staat sich fies und feist aus den Taschen der erschrockenen Bürger bedient.

Nach sechs Jahren Rot-Grün zeigt allerdings ein Blick in die Statistiken: Reiche sind reicher geworden und zahlen weniger Steuern. Großkonzerne weisen die höchsten Gewinne der Geschichte aus und zahlen kaum noch Steuern. Arme sind ärmer geworden. Der Staat hat sich tiefer denn je in Schulden gestürzt und kürzt Sozialleistungen. Seit dem 1. Januar werden Gutverdiener noch einmal gehätschelt: Mit dem neuen Spitzensteuersatz von 42 Prozent werden dem Staat allein in diesem Jahr mindestens sechs Milliarden Euro fehlen.

Selbst wenn die Koalition dies alles gewollt hat – die Konjunkturprognosen sehen nicht danach aus, als käme Rot-Grün bis zur Bundestagswahl an einer Steuerdebatte vorbei. Hierzu lohnt es sich, ein paar Einzelvorschläge ins Auge zu fassen.

1 Erbschaftsteuer: rauf!

Geerbtes Geld ist kein verdientes Geld. In Deutschland werden jährlich mindestens 50 Milliarden Euro vererbt – Geld, das, gut angelegt, sich ohnehin von selbst vermehrt. Der Ertrag der Erbschaftsteuer ist von 3 Milliarden Euro im Jahr 2002 auf geschätzte 4,3 Milliarden Euro im vergangenen Jahr gewachsen. Den nominalen Steuersatz von bis zu 50 Prozent bezahlt also offensichtlich niemand; real werden weniger als zehn Prozent bezahlt. Dass die deutsche Erbschaftsteuer zu niedrig ist, finden sogar Experten, die nicht für die Gewerkschaften arbeiten.

Bislang lässt die Regierung die Finger von dem Thema und verweist wahlweise darauf, dass die Erbschaftsteuer Ländersache ist. Oder darauf, dass noch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aussteht, das die Bewertung von Immobilien verändern wird, die einen großen Teil der Erbschaften ausmachen.

Doch umgekehrt wird Politik daraus: Die Koalition kann geistige Unabhängigkeit von Karlsruhe beweisen, indem sie die Länder dabei unterstützt, die Erbschaftsteuer zu reformieren. Heide Simonis rechnet mit Mehreinnahmen von mindestens 500 Millionen Euro jährlich. Dazu muss sie noch nicht mal die Geschwister belasten, die von Oma 30.000 Euro erben. Sie will die Erbschaftsteuer erst jenseits großzügiger Freibeträge moderat anheben. Gleichzeitig müsste natürlich verhindert werden, dass keiner Steuern mehr zahlt, wer wie der Milchmogul Theobald Müller seinen Wohnsitz verlegt.

2 Vermögensteuer: zurück!

Ohne Not schaffte die Kohl-Regierung 1997 die Vermögensteuer de facto ab, weil sie ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts mutwillig falsch verstand. Denn das Karlsruher Gericht hatte – siehe Punkt 1 – vor allem die Bewertung der Immobilien bemängelt. Wie haltbar der vom damaligen Richter Paul Kirchhof aufgestellte Grundsatz ist, dass Vermögenden mindestens die Hälfte ihrer Vermögenseinkünfte zusteht, ist unklar.

Klar ist jedoch, dass einer Wiederbelebung einer modifizierten Vermögensteuer grundsätzlich nichts im Wege steht. Der Großteil des Reichtumszuwachses der vergangenen Jahre besteht darin, dass die Immobilien laufend an Wert zunehmen. Dieser Wertzuwachs würde durch eine Vermögensteuer von zum Beispiel 1 Prozent erstmalig und maßvoll besteuert. Diese Belastung von Vermögenserträgen beim Spitzensteuersatz von 42 Prozent läge jedenfalls kaum über dem willkürlich aus dem Ärmel der Richterrobe geschüttelten Halbteilungsgrundsatz.

Mögen auch die Schätzungen der Gewerkschaften, die mit Einnahmen von 16 Milliarden Euro rechnen, hoch gegriffen sein – eine Steuer etwa nach holländischem Modell brächte um die zehn Milliarden Euro.

3 a Kapitalertragsteuer:

her damit!

Nun kann, wer will, die Vermögensteuer für nicht opportun halten – und sei es nur, weil Gewerkschaften und Linke sie so ausdrücklich fordern. Man könnte auch argumentieren, dass es solches und solches Vermögen gibt: das eine, vielleicht der Mietwohnungsblock im schrumpfenden ostdeutschen Städtchen, verliert seit Jahren an Wert. Soll man davon noch etwas wegnehmen? Das andere dagegen wächst gewaltig: Der Wertpapierfonds etwa, der schöne Überschüsse abwirft. Eine gerechtere Behandlung von Vermögen wäre es vielleicht, nur die Erträge höher zu besteuern: also auf die Einkommensteuer noch einen Happs drauflegen.

3 b … aber Vorsicht!

Hier jedoch taucht das Problem auf, das grundsätzlich gegen jede bloße Erhöhung einer schon bestehenden Steuer spricht: Die ehrlichen Zahler werden bestraft und könnten deshalb doch noch recht plötzlich zu unehrlichen Nichtzahlern werden. Darum ist übrigens auch eine kürzlich von SPD-Linken vorgebrachte Idee, den Soli-Zuschlag noch einmal zu erhöhen, etwas prekär. Allerdings wäre der Soli-Zuschlag-Zuschlag für Rot-Grün relativ leicht durchzusetzen: Denn dies ist die einzige Geldquelle, mit der die Koalition nicht durch den unionsdominierten Bundesrat muss.

Wenn man jedoch nicht die durchschnittlich gut verdienenden Lohnsteuerzahler treffen will, sondern nur die wirklich Wohlhabenden, erhebt man besser einen Steuerzuschlag auf die Höchsteinkommen – etwa ab 300.000 Euro jährlich. Einen solchen Zuschlag gibt es in allen europäischen Nachbarländern.

4 Unternehmensteuer:

runter!

Ja, genau: runter. Aber nur, wenn dann auch alle ordentlich zahlen. Die Unternehmensteuerreform 1999 mündete erstens in Chaos und führte zweitens, wie damals abzusehen war, dazu, dass gerade die mächtigsten und profitabelsten Unternehmen keine Steuern mehr zahlen. Sie verrechnen ihre Gewinne mit Verlusten, die sie angeblich anderswo machen.

Auf diese Weise ist der geltende Steuersatz von 40 Prozent zwar im internationalen Vergleich hoch – nur interessiert er niemanden. Eine Korrektur der Unternehmensteuerreform müsste die in Deutschland erzielte Wertschöpfung erfassen, dann kann man den Satz auch senken. Die osteuropäischen Nachbarn bieten Dumpingsätze von rund 19 Prozent. Würden die Kapitalgesellschaften in Deutschland zum Beispiel diesen Satz tatsächlich zahlen, wären über zehn Milliarden Euro gewonnen. Dazu müssen die großzügigen Möglichkeiten, vermeintliche Verluste von der Steuerschuld abzuziehen, weiter rückgängig gemacht werden.

Die Koalition will bis 2006 erzählen, wie zum Beispiel das „Megathema“ Bildung, der steil steigende Pflegebedarf oder auch eine neue Familienpolitik bezahlt werden sollen. Ihrer Fantasie sollte sie da keine ideologischen Grenzen setzen.

ULRIKE WINKELMANN