piwik no script img

RampenspieleBürgerausspeisung

■ Über Minetti, Breth & Peymann, Träume, Abschiede & mehrfach das Schiller Theater

Das alte Theater sagt tschüs! in diesen Tagen, und alle machen noch mal mit. Dieses Abschiednehmen hat nicht unmittelbar mit dem Tod von Bernhard Minetti zu tun, ist aber eine Parallelaktion, zu der die heute stattfindende Trauerfeier im Berliner Ensemble und die anschließende Beerdigung auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin sehr gut passen. „Theaterkönig“ Minetti. Es wird bei den Gedenkansprachen mit gemessenen Worten die Nazizeit überbrückt werden. Es werden Rollennamen und Regisseursnamen paradieren, und irgendwann wird es heißen: Schiller Theater! Etwa: Die Schließung des Schiller Theaters verwand er nie. Oder: Per Formbrief gekündigt wie ein Büroangestellter, verlor Bernhard Minetti im Jahr 1993 nicht nur die künstlerische Heimat, sondern auch den Glauben an die Theaterstadt Berlin.

Sollte der ehemalige Kultursenator Ulrich Roloff-Momin heute vormittag im Parkett des Berliner Ensembles sitzen, mag es wohl sein, daß ihn Gedenkredner Claus Peymann, der zukünftige Intendant des Hauses und seinerzeit ein donnernder Kritiker der Theaterschließung, böse grüßt bei dieser Gelegenheit. Böse und triumphierend vielleicht, denn schließlich wird das Schiller Theater ab Januar leer stehen. Der Privatisierungsversuch des riesigen Hauses durch den Senat, in dem Roloff-Momin seinerzeit für die Kultur verantwortlich war, ist jetzt auch mit dem zweiten Pächter gescheitert. Berliner Musicals wollte Peter Schwenkow dort zeigen und zeigte er nicht, die Bismarckstraße in den Broadway zu verwandeln, versuchte Wolfgang Boksch, und das gelang ihm nicht. Er kündigte.

Die Nachricht von der Vakanz des ehemaligen Westberliner Repräsentiertheaters plumpste am letzten Wochenende nun in die Gemengelage verschiedener Nachrichten über den ungewissen Verbleib des Berliner Ensembles im Theater am Schiffbauerdamm. Und hätte nicht weicher fallen können, denn die Einspeisung in die Vision einer Wiederauferstehung des bürgerlichen Theaters in Westberlin erfolgte ohne Zögern. Aus westlicher Sicht sind die euphorischen Spekulationen verständlich.

Schließlich wäre, wenn Claus Peymann mit seiner, natürlich gehörig aufgefrischten BE- Mannschaft ins Schiller Theater einzöge, nicht nur die Dominanz der östlichen Bühnen in Berlin gebrochen, sondern könnte republikweit auch wieder gutgemacht werden, daß die Privatisierung der Staatlichen Bühnen Westberlins damals den Startschuß gaben zu einer Überprüfung aller Etats aller Stadt- und Staatstheater. Mit Peymann als Intendanten, so der Mythos, hätte das Schiller Theater nie geschlossen werden müssen.

Tatsächlich hätte Roloff-Momins Vorgänger Volker Hassemer Mitte der 80er Jahre die Möglichkeit gehabt, Claus Peymann zu berufen. Statt dessen berief er Heribert Sasse, was sich ökonomisch rechnete, künstlerisch eher nicht. Und weil gerade die verpaßten Chancen immer die besten gewesen wären, wird die spontane Begierde jetzt auch davon nicht irritiert, daß das BE, wenngleich hoch subventioniert, so doch ein Privattheater ist, dessen Einquartierung im landeseigenen Schiller Theater quasi einer Verstaatlichung gleichgekommen wäre. Als Ausweichspielort für das BE würde sich die zweite Privatisierungsruine Westberlins, die ebenfalls leerstehende Freie Volksbühne, also sicher besser eignen – doch was soll's: das Verdrängte wirft seine Schatten ins Jetzt, zu einer anständigen Wiederkehr reicht es aber nicht.

Letztlich haben wir es hier nicht mit einem fundamentalistischen Besiedlungsprogramm der kulturpolitischen Wüste von damals zu tun, sondern eben doch nur mit einer Fata Morgana. Anlaß für die Auswanderungspläne des BE ist nämlich, daß Rolf Hochhuth der Berliner Kulturverwaltung als Besitzer des Theaters am Schiffbauerdamm auf der Nase herumtanzt und eine Unterschrift verweigert, die er geben müßte, damit mit Peymann und dem BE ab dem Jahr 2000 alles seine Ordnung hat. Ein Notstand, der nur auf einen anderen verweist, daß nämlich Hochhuth überhaupt einen Pachtvertrag ausgehandelt hat, der ihm gestattet, in dieser Form etwas zu wollen – aber lassen wir auch das.

Inzwischen hat sich Hochuth nicht mit dem Senat, aber doch mit Peymann geeinigt. Und das ist das Entscheidende, denn mit einem Senator Peter Radunski, der gerade ein paar Tage lang lieber Bundesgeschäftsführer der CDU in Bonn gewesen wäre, ist sicher nichts mehr zu wollen. Jeder tut gut daran, sich nichts vormachen zu lassen, sondern einfach seins selber zu vertreten. Auch in dieser Hinsicht sagt das alte Theater tschüs! und mit ihm die Vorstellung, dem eigenen Leben nur zuschauen zu können wie einem psychologisch-realistischen Schauspiel.

Wie einem Stück von Tschechow etwa, in dem Menschen nach angenommener Russenart tun, was Russen taten, als Tschechow schrieb. Nein, das wird Andrea Breths Inszenierung von „Onkel Wanja“, ihrer letzten Arbeit in der Schaubühne, nicht gerecht. Es gibt das unglaubliche Blau auf der Bühne von Wolf Redl, und es gibt Corinna Kirchhoff und Wolfgang Michael, die die unterdrückten Gefühle ihrer Figuren in eine bizarre Künstlichkeit überführen. Es gibt Kerzen, die hinter Wänden sichtbar werden und Konzertflügel, die sich von alleine bewegen. Es tümelt also nicht immer und ist doch gerade in den bezaubernden Momenten ein großes Abschiednehmen vom Theater als einer Interpretationsmaschine des bürgerlichen Lebens.

Vielleicht, weil es diese Art von Bürgerlichkeit immer weniger gibt und sie der Interpretation nicht mehr bedarf. Vielleicht aber auch, weil sich das Leben zwischen den Reflektionsebenen Spiel und Wirklichkeit so verflüchtigt hat, daß man auf der Bühne einfach nichts mehr davon erkennt. Petra Kohse

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen