Ralf Leonhard über die österreichische Asylpolitik: Willkommener Ausrutscher
Wer sich über Österreichs Schwenk in der Flüchtlingspolitik wundert, blendet aus, wie das Land zwei Jahrzehnte lang seine Asyl- und Fremdengesetzgebung scheibchenweise verschärft hat. Die Willkommenspolitik, mit der Österreich im zweiten Halbjahr 2015 Offenheit, Menschlichkeit und Effizienz bei der Bewältigung einer großen Aufgabe bewiesen hat, war eher ein Ausrutscher, der passiert ist. Nach dem Auffinden eines Schlepper-Kühlwagens mit 71 Toten bei Parndorf im Burgenland wäre alles andere als Hilfsbereitschaft als purer Zynismus ausgelegt worden. Und die Reaktion der Zivilgesellschaft diente eine Zeit lang als Triebfeder für eine Politik, die in eine neue Richtung wies. Ungarns aggressive Abschottungspolitik wurde von den Politikern naserümpfend gerügt.
Inzwischen hat sich gezeigt, dass Merkels „Wir schaffen das!“ tatsächlich nicht nur Kriegsflüchtlinge vom Joch der Schlepper befreit, sondern auch Terroristen Deckung gibt und zunehmend Arbeitsmigranten nach Europa lockt, die eine Chance sehen, die strengen Aufenthaltsregeln zu umschiffen. Die Attentate von Paris und die Kölner Silvesternacht scheinen all jenen recht zu geben, die immer schon vor muslimischer Massenzuwanderung gewarnt hatten.
Österreichs Außenminister Sebastian Kurz hat den Stimmungsumschwung schnell in konkrete Politik umgemünzt und setzt auf das bewährte Motto „Grenzen dicht“. Der als gesellschaftsliberal geltende Jungstar der ÖVP gibt im Paarlauf mit der Innenministerin die neue Linie vor und wird dafür belohnt. Im Politbarometer einer Tageszeitung lag Kurz mit 47 Prozent Zustimmung meilenweit vor allen Ministerkollegen. Bezeichnend auch, dass den zweiten Platz mit 17 Prozent ausgerechnet der erst vor wenigen Tagen vereidigte neue Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) einnimmt. Der versucht seine noch zögerliche Partei auf den gleichen Pfad zu bringen.
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