Ralf Leonhard über den Rückzug vor Peter Pilz in Österreich: Haltung bewiesen
Was wäre, wenn? Wären die Vorwürfe sexuellen Fehlverhaltens an Peter Pilz ein paar Wochen früher öffentlich geworden, hätte er seine Liste entweder gar nicht gegründet oder wäre an der Vierprozenthürde für den Nationalrat gescheitert. Davon hätten die Grünen vielleicht profitiert und wären dem Parlament erhalten geblieben. Es ist den Grünen hoch anzurechnen, dass sie im Wahlkampf nicht mit unbewiesenen Behauptungen gegen ihren zum Rivalen gewordenen Mitbegründer kampagnisiert haben.
Aber auch Pilz hat mit seinem Rückzug aus dem Parlament Haltung bewiesen. Zwar bestreitet er, was eine ehemaligen Mitarbeiterin ihm vorwirft, und an einen zweiten Vorfall will er sich nicht erinnern können, doch hält er ihn für glaubwürdig. Er hätte die Affäre auch aussitzen und sich mit Hinweis auf seine unbestreitbaren Verdienste als Korruptionsjäger für unentbehrlich erklären können. Seine neu gegründete Partei, von der vier Männer und vier Frauen als Liste Pilz im Parlament sitzen werden, hält jedenfalls zu ihm. Und auch die Leserbriefseiten und Postings in den Zeitungen zeigen, dass viele Pilz’ Verfehlungen als lässliche Sünden betrachten.
Die Affäre wirft aber noch andere Fragen auf. Auf der Liste der angeblichen Übergriffe, die die Exmitarbeiterin ihrem damaligen Chef vorwirft, finden sich eine Einladung nach Paris und ein Wochenende auf einer Almhütte. Notabene, nicht allein. Auf der Almhütte gab es laut Pilz eine Teamklausur, seine Ehefrau habe gekocht. Nach Paris habe er sie auf ihr eigenes Drängen hin – nebst dem Hausjuristen – zu wichtigen Gesprächen mitgenommen. Wenn das als Belästigung ausgelegt werden kann, dann müssen Männer und Frauen einander im Büroalltag wohl künftig mit Gummihandschuhen begegnen und nur noch per E-Mail und Telefon kommunizieren. Die Autorin Angelika Hager drückt ihr Unbehagen im Kurier vom Sonntag so aus: „Im Moment kippen wir in ein Klima des Puritanismus, der mir Angst macht.“
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