: Rafsandschani, Chomeinis letzte Karte
Der iranische Parlamentspräsident und Präsidentschaftskandidat vor der Erfüllung seiner Ambitionen / Wahlen in der nächsten Woche Der Dollar-Milliardär, Waffenhändler und politische Opportunist wird mehr als sein ewiges Lächeln brauchen, um die Probleme des Landes zu lösen ■ Von Robert Sylvester
Er gehört nicht zu denen, die von Anfang an darauf achteten, in allernächster Nähe Chomeinis zu sein. Er gehört auch nicht zu denen, die nach der iranischen Revolution in einer Phase hoher Erwartungen der Bevölkerung nach einem Ministerposten strebten. Ali Akbar Haschemi Rafsandschani zog es vor, sein Ziel, der eigentliche starke Mann des Landes zu werden, langfristig anzusteuern. Sein Titel Hodschatoleslam plazierte ihn nur in den dritten Rang der religiösen Hierarchie. Er war sich darüber im klaren, daß er mit den Ayatollahs und Großayatollahs nicht rivalisieren konnte. Also legte er sich eine Rolle als gehorsamer Schüler Chomeinis zu und hielt sich aus den oft heftig geführten innenpolitischen Kontroversen möglichst heraus. Heute steht Rafsandschani vor der Erfüllung seiner Ambitionen: Bei den iranischen Präsidentschaftswahlen nächste Woche ist er der einzig aussichtsreiche Kandidat. Damit nicht genug: Gleichzeitig soll die iranischen Bevölkerung in einem Referendum über eine Verfassungsänderung befinden, die den ersten Mann im Staate mit erweiterten Kompetenzen ausstattet.
Der 55jährige Rafsandschai wurde in einem Dorf nahe der Stadt Rafsandschan in der zentraliranischen Provinz Kerman geboren. Nach Abschluß der Grundschule trat er im Alter von fünfzehn Jahren in die religiöse Schule in Qom ein. Die Art und Weise, wie er für seinen Lebensunterhalt sorgte, war von Anfang an für einen Mullah recht ungewöhnlich. Während andere ihr Geld mit Predigten bei religiösen Zeremonien verdienten, handelte er mit Grundstücken und Immobilien. Heute liegen auf seinen Bankkonten in der Schweiz, der Bundesrepublik und anderen westlichen Ländern Werte in Höhe von über einer Milliarde Dollar. Sein Monopol für den Export der berühmten iranischen Pistazien und sein Zugang zu staatlichen Finanzen machten ihn zu dem vielleicht reichsten Mann des Landes. Im Jahre 1980, als oppositionelle Zeitungen Berichte über seine Konten bei der iranischen Zentralbank berichteten, gab er zu, im Besitz einer Sondergenehmigung Chomeinis für den Kauf von Waffen für die neugründeteten Revolutionsgarden zu sein.
Die Anfänge seiner politischen Betätigung gehen auf das Jahr 1962 zurück, als Theologiestudenten mit Unterstützung der Geschäftsleute aus dem Bazar gegen die „Weiße Revolution“ des damaligen Schah rebellierten, der neben einer Landreform auch das Frauenstimmrecht einführen wollte. Rafsandschani leistete den zweijährigen Militärdienst, was die meisten jungen Geistlichen verweigerten. Gleichzeitig gehörte er zu denjenigen, die mit Chomeini, der die Revolte angeführt hatte, in Verbindung blieben und die später führende Figuren in der Islamischen Republik wurden.
Hart gegen die Linke
Nach dem Sturz des Schahregimes im Jahre 1979 überließ Rafsandschani es anderen, sich auf dem Felde der nachrevolutionären Auseinandersetzungen zu profilieren und die Kampagnen gegen die starke linke und liberale Opposition zu führen. Allerdings war er der erste, der Chomeinis harte Linie gegen die Linke ankündigte und für ein Ende der politischen Verbrüderung sorgte. Sonst war er in der Regel der letzte, der Position in einer der aktuellen Streitfragen bezog. Dabei folgte er treu der von Chomeini vorgegebenen Linie. Rafsandschani ist ein vorsichtiger Politiker, anpassungsfähig bis hin zum Opportunismus, was ihm einen Konflikt mit dem Revolutionsführer ersparte.
Seit 1980 saß Rafsandschani auf dem Stuhl des Parlamentspräsidenten, ein politisch zentraler Posten. Mittlerweile hat er eine ganze Reihe von Funktionen und Titel gesammelt: Er ist auch stellvertretender Sprecher des Expertenrates (des Gremiums, das über die Nachfolge Chomeinis entschied) und Sprecher des Obersten Verteidigungsrates, stellvertretender Oberkommandierender der Streitkräfte, Mitglied des Obersten Rates der Kulturrevolution und Freitagsprediger von Teheran - um nur einige seiner Ämter zu nennen.
Das allwöchentliche Freitagsgebet, das in Rundfunk und Fernsehn übertragen wird, bot dem ehrgeizigen Mullah die beste Tribüne, um seine Ansichten unters Volk zu bringen. In einer Serie von Predigten mit dem Titel „Soziale Gerechtigkeit“ trat er für eine halb staatliche, halb private Wirtschaftsform ein, um die konservativen Geschäftsleute des Bazar zufriedenzustellen, die in der jüngeren Geschichte des Iran eine oft entscheidende Rolle gespielt haben. Ungeachtet dieser Bemühungen brachte ihm sein Plädoyer für eine gerechte Verteilung des Wohlstandes den Vorwurf des Bazar ein, er sei ein als Mullah verkleideter Kommunist.
Vom gleichen Podium aus unterrichtete er die Gläubigen über den Verlauf des Krieges gegen den Irak. Im Fernsehn war er in Uniform und Turban zu sehen, wie er die Fronten besuchte. Die iranischen Niederlagen in der letzten Monaten vor dem Waffenstillstand im Sommer 1988 wurden von Beobachtern für ein Manöver Rafsandschanis gehalten, um Chomeini davon zu überzeugen, daß der Iran sich an den Verhandlungstisch setzen muß. Zwei Jahre zuvor war es Rafsandschani gewesen, der den Revolutionsführer zu dem Waffen-Geisel-Geschäft mit den USA überredete, das später unter dem Namen Irangate -Skandal für Schlagzeilen sorgte. Ohne die Rückendeckung Chomeinis hätte er bei diesem Deal mit dem „Großen Satan“ um sein Leben fürchten müssen.
In der Frage der Säuberung von Beamten und Technokraten nahm der wendige Machtpolitiker eine gemäßigte Position ein, da er sich dessen bewußt ist, daß das Land gut ausgebildete und erfahrene Fachkräfte braucht. Aus diesen Kreisen erhält er daher auch eine größere Unterstützung als andere Mullahs.
Ideologie an zweiter Stelle
Doch man sollte nicht den Fehler machen, den ewig lächelnden Hodschatoleslam für zu gemäßigt zu halten. Sechs Monate nachdem sein privater Pilot 1987 in den Irak floh und dann in Hamburg auftauchte, wurde er dort auf offener Straße erschossen - vermutlich von Rafsandschanis persönlich losgeschickten Killern. Denn wie sich im nachhinein herausstellte, hatte der Pilot in Kreisen von Exiliranern allzu freizügig aus der Tasche geplaudert.
Was Rafsandschani die Aufmerksamkeit des Westens einbrachte, war, daß er offenbar der einzige politische Führer des Landes ist, für den die Ideologie erst an zweiter Stelle kommt - für einige seiner innenpolitischen Gegner schon fast ein Sakrileg. Seine Bereitschaft, für den Wiederaufbau nach dem Krieg und die wirtschaftliche Entwicklung des Landes auf ausländische Hilfe zurückzugreifen, löste im Westen und unter den Konservativen im eigenen Land Hoffungen aus. Letztere sahen ihr Vermögen durch die Hardliner bedroht, die eine staatlich gelenkte Wirtschaft befürworten.
Doch auch ein künftiger Präsident Rafsandschani wird bei der Verwirklichung seiner Vorstellungen mehr als ein Lächeln brauchen. Neben den Hardlinern muß er mit den Anhängern des ehemaligen Chomeini-Nachfolgers Montazeri rechnen, die Rafsandschani hinter dem erzwungenen Rücktritt ihres Führers vermuten. Die Liberalen, die von Technokraten und Bürokraten unterstützt werden, haben sich in der jüngsten Runde des Machtkampfes zurückgehalten. Sie trauen der politischen Konjunktur nicht, die sich von einem Tag auf den anderen wieder ändern kann. Sie werden sich erst dann hinter Rafsandschani stellen, wenn sie den Eindruck haben, daß sich seine Politik auch durchgesetzt hat.
Terrorwelle zu befürchten
Rafsandschani möchte offenbardie Rolle eines Retters des Staates spielen. Im Gegensatz zu Chomeini streitet Rafsandschani nicht für eine neue Welt und eine gerechte Gesellschaft. Er ist eher ein Produkt der Notwendigkeiten der Zeit und war die letzte Karte, mit der Chomeini ein völliges Scheitern der islamischen Revolution und seiner Republik zu vermeiden wollte.
Wenn man die Hitze der ideologischen Debatte in Teheran berücksichtigt, fällt es nicht schwer, vorauszusagen, daß der Amtsantritt Rafsandschanis von einer neuen Welle von Terror und Unterdrückung begleitet werden wird. Unter einer Ära Rafsandschani werden sich die Geistlichen vor die Alternative gestellt sehen, entweder mit ihm zusammenzuarbeiten oder aber zu Schweigen und Isolation verdammt zu sein. Der weitsichtige Politiker hat bereits jetzt eine Säuberungskampagne an den religiösen Schulen und Seminaren eingeleitet.
Wie jede Revolution, hat auch die islamische im Iran Wandlungen, Revisionen und Änderungen durchlaufen. Doch was Rafsandschani will, in ideologischer wie in religiöser Hinsicht, ist derart einschneidend, daß er leicht zu einem zweiten Sadat werden könnte. Der ehemalige ägyptische Staatschef wurde von islamischen Fundamentalisten ermordet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen