: Räumung in der Hauptstadt
■ Den BesetzerInnen der „Alten Camera“ droht der Rausschmiß / Ein Teil des Gebäudes wurde gestern gesprengt / BesetzerInnen fordern eigenes Gutachten
Ost-Berlin steht die erste Häuserräumung bevor. Gestern morgen wurde ein weiterer Teil des ehemaligen Gebäudekomplexes der „Alten Camera“ in der Oranienburgerstraße gesprengt. Seit dem 13. Ferbruar halten zirka 30 Personen das Gebäude besetzt, um den weiteren Abriß zu verhindern und dort ein multikulturelles Kommmunikationszentrum aufzubauen. Die Ostberliner Baudirektion will das Gebäude vollständig abreißen, da es laut einem Gutachten von 1977 baufällig sei und einer Straße im Wege stehe. Das wiederum stellen die BesetzerInnen in Zweifel. „Die haben früher ihre Gutachten nach Bestellung bekommen“, so Ludwig Eben, einer der Besetzer. Bereits vor einigen Tagen waren frühmorgens Bauarbeitertrupps angerückt und hatten den BesetzerInnen Strom und Gas abgestellt und die Telefonleitung gekappt (die taz berichtete).
Daß das 1907/08 gebaute Gebäude erhalten werden muß, steht für die BesetzerInnen außer Frage. Es ist eines der ältesten Stahlbaukonstruktionen und habe als erstes Fernsehstudio und Kulturstätte einen „historischen Wert“. Daher haben sie bei der Baudirektion den „Verdacht auf Denkmalpflege“ angemeldet. Der größte Teil des Gebäudekomplexes ist jedoch bereits abgerissen, der Rest soll bis April gesprengt werden. Dabei könnte selbst bei den derzeitigen Straßenbauplänen der jetzt noch stehende Teil erhalten bleiben.
Die BesetzerInnen wollen solange in dem Gebäude bleiben, bis ein neues, unabhängiges Gutachten den tatsächlichen Zustand des Hauses geprüft hat. Dazu fehlt ihnen jedoch das Geld. Zwei Westberliner, ein Architekt und ein Statiker, haben angeboten, ein kostenloses Gutachten zu erstellen.
Zur Zeit werden die noch intakten Gebäudeteile von den BesetzerInnen als Arbeits- und Wohnstätte für Kulturprojekte genutzt und in eigener Initiative saniert. Doch mit den Bauarbeitern haben sie mehr Probleme als mit der Polizei. „Die kommen hier rein, zerstören oder klauen unsere Sachen“, so eine Besetzerin. „Die haben jeden Tag eine neue Überraschung für uns.“
Rochus Görgen
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