Standbild: Räuberromantik
■ "Tod eines Geiselgangsters"
„Tod eines Geiselgangsters“, Dienstag, 22.30 Uhr, WDR
Am 6. Oktober 1994 kurz vor Schalterschluß stürmt ein Mann die Sparkasse in Herzogenrath bei Aachen. Er nimmt neunzehn Menschen als Geiseln und fordert zwei Millionen Mark Lösegeld. Nach vierzehn Stunden gibt er auf. Alle Geiseln sind frei. Dann sprengt er sich mit einer um den Hals gehängten Handgranate in die Luft. Der Mann war 62 Jahre alt.
Das ist die Geschichte vom Tod Heinrich Jungs. Sie ging durch die Zeitungen. Sie war im Fernsehen zu verfolgen. Stundenlang lauerten die TV-Teams vor der Bank, bis dann irgendwann Schüsse erklangen. Bilder, die Joe Sperling am Anfang seiner Reportage über Jung noch einmal zeigt. Ausgehend vom Tod des Geiselgangsters macht er sich dann auf die Suche nach dessen Lebensgeschichte. Er filmt den Geburtsort Jungs. Er spielt die Tonbandaufzeichnung von Jungs letztem Telefonat mit der Polizei ein. Er interviewt Geiseln, Staatsanwälte, Jugendfreunde und spürt Jungs letzte Lebensgefährtin auf. Jung, der Fremdenlegionär. Jung, der Bankräuber, Jung, der Gefängnisinsasse, Jung, der untergetauchte Privatmann – Stationen eines rastlosen Lebens.
Trotz der soliden Machart und der sorgfältigen Recherchen bleibt das Psychogramm enttäuschend blaß. Das liegt vor allem daran, daß sich Joe Sperling – getragen von einer unausgesprochenen Sympthie für den tragischen Mann – in einer Art modernen Räuberromantik ergeht. Mit nüchternen Bildern, frostiger Jazz-Unterfütterung und einem betont lapidaren Off-Kommentar (den er besser nicht selber gesprochen hätte) versucht er aus Jungs Geschichte einen kühlen Film noir im Geiste Melvilles zu machen.
Nicht, daß ihm das nicht streckenweise gelingen würde. Aber diese ästhetische Form löst sich eben nur um den Preis einer wirklichen Einfühlung in den Menschen Heinrich Jung ein. Wenn die Urne mit Jungs Asche zu spröden Schlagzeugklängen über die Pakettransportbänder der Post rollt, dann ist das zweifellos ein schönes Bild für die prototypische Einsamkeit des Gangsters. Doch Jung ist eben nicht „Der eiskalte Engel“ sondern, ja, wer nun eigentlich? Am Ende weiß Sperling von ihm nicht viel mehr zu sagen, als daß er „ein alter, gejagter Mann ohne Zukunftsperspektive“ war. Und das hat man irgendwie auch schon vorher gewußt. Martin Muser
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