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Rätselraten über den Sieg

■ Handball-Nationalmannschaft schlägt überraschend Weltmeister Rußland

Neuhof (dpa) – Die deutsche Handball-Nationalmannschaft gibt sich und Bundestrainer Arno Ehret Rätsel auf. „Ich muß die Spieler fragen, was sie beim Mittagessen zu sich genommen haben. Sie haben spielerische Dinge gezeigt, mit denen ich nicht gerechnet habe“, meinte Ehret nach dem überraschenden 29:22 gegen Weltmeister Rußland erstaunt. Auch Kapitän und Torhüter Andreas Thiel war beeindruckt: „Was heute los war, kann ich nicht verstehen.“

Der Erfolg gegen die Nummer 1 im internationalen Handball in Neuhof bei Fulda war ein Beleg für den Aufschwung, der sich 1993 mit dem sechsten WM-Platz bereits abzeichnete. Im Angriffsspiel sind die Fortschritte unverkennbar. „Die Spieler haben variabel auf die Situationen reagiert“, stellte der vierzig Jahre alte Ehret fest.

Ein Grund für den Leistungsschub ist die Geschlossenheit. „Es macht derzeit mehr Spaß, in der Nationalmannschaft als im Verein zu spielen, da wir hier Erfolg haben“, sagte Mike Fuhrig, der mit Meister SG Wallau-Massenheim eine durchwachsene Saison erlebt. „Ich fühle mich in der Nationalmannschaft wohler als im Verein“, stellte Thiel fest.

Der 33jährige von Bayer Dormagen, der in Neuhof zum 200. Mal das Tor der Nationalmannschaft hütete, wurde nicht nur vor dem Anpfiff offiziell geehrt, sondern später auch von seinen Mitspielern wegen seines Jubiläums und seiner Weltklasse-Vorstellung gefeiert. Der Lemgoer Volker Zerbe hielt eine kurze Rede und überreichte ein Füllfederhalter-Set an den „Hexer“: „Ich gehe mit meinen Gefühlen nicht hausieren, aber da mußte ich doch schlucken.“

Es spricht für das Team und seinen Trainer, daß sie Siege und Leistungen einzuordnen wissen. „Im Vorfeld von großen Titelkämpfen haben wir schon öfters Komplimente bekommen und sind dann auf die Schnauze gefallen“, warnte Ehret. „Dieses Spiel darf kein Maßstab sein für Aufeinandertreffen bei Championaten.“ Ihm war klar, daß die Russen trotz ihrer zehn angereisten Weltmeister geschwächt waren und ihr wahres Leistungsvermögen nur andeuteten. „Meine Spieler haben den Gegner unterschätzt“, nannte Trainer Wladimir Maksimow als Grund für die Niederlage.

Tatsache bleibt jedoch, daß vor heimischem Publikum die deutsche Auswahl keinen Gegner zu fürchten braucht. Sie muß nun in den kommenden sechs Länderspielen beweisen, daß sie auch auswärts gegen Weltklasse-Teams bestehen kann. Erster Test ist das letzte und bedeutungslose EM- Qualifikationsspiel am Sonntag gegen Vize-Weltmeister Frankreich in Paris. Trainer Ehret: „Die Mannschaft muß sich an die Atmosphäre gewöhnen. Sie soll in Paris gewinnen und wird weiter Erfahrungen sammeln.“

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