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■ KolumneRäkeln im Bett mit Hank Snow

Deutschlands bestes Indie-Label? Ich muß nicht lange nachdenken: Bear Family. Ein Grund ist, daß mir viele ihrer Platten gut gefallen. Der andere, daß ich ihre Editionspraktiken für vorbildlich halte. Denn müssen wir uns nicht alle immer wieder über diese blöden Multi-CD-Box-Sets ärgern, die die Plattenindustrie herausbringt? Wir kaufen sie wegen einiger weniger unveröffentlichter Songs oder Alternativversionen, fragen uns, was wir mit den ganzen Hits nochmal sollen und schmeißen sie dann doch wieder 'raus, weil die unveröffentlichten Songs und Alternativversionen zu recht nicht veröffentlicht worden waren. Bei Bear Family dagegen orientiert man sich an den Herausgabepraktiken des Literaturbetriebs: Es gibt entweder schlanke Hit-Koppelungen, oder das Gesamtwerk. Für diese Boxen gelingt es dem auf einem Ohr tauben Bear-Family-Chef Richard Weize immer wieder, aus irgendwelchen Nebenstellen der Archive der großen Plattenfirmen in Sonstwo, Virginia, Aufnahmen emporzutauchen, an die sich der Künstler selbst kaum erinnert. Nachdem man Hank Snow, Lefty Frizzell und Tommy Collins bereits abgehakt hat, nähern sich nun die Werkausgaben von Don Gibson, Johnny Cash und Ernest Tubb ihrer Komplettierung. Kann sich ein Country-Spezial-Label mehr wünschen? Sicherlich wird die Plattenindustrie irgendwann diese lukrativen Gesamtwerks-Boxen selber herausbringen wollen. Ich bin ganz sicher, daß es in 20 Jahren entsprechende Editionen von Elvis, Beatles, Stones, Hendrix etc. gibt. Bear Family aus 27729 Vollersode ist seiner Zeit weit voraus.

Ansonsten beobachte ich quasi als neutraler UN-Beobachter weiterhin mit großem Interesse den Krieg zwischen Analog und Digital. Mir ist es weiterhin schnurz, von was die Töne getragen werden. Ich störe mich weder am Knistern und Rauschen meiner Platten, noch am angeblich sterilen (nie bemerkt) Klang von CDs. Seit ich einen neuen Plattenspieler habe, macht mir das Plattenauflegen auch wieder mehr Spaß, und ich habe sogar wieder begonnen, die Antiquariate dieser Welt nach interessantem alten Vinyl abzusuchen. Aber daß ich mich nach dem Aufstehen 70 Minuten lang bei Kaffee und Zeitschriften im Bett räkeln kann, ohne aufstehen zu müssen, um die Platte umzudrehen, ist doch ein erheblicher Fortschritt. Detlef Diederichsen

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