: Räderrollen
Gedanken eines Stellwärters zu den Tagesthemen ■ MEINUNG
Der deutsche Zug sei abgefahren, höre ich von allen Seiten. Die Weichen sind hingestellt. Und er ist nicht mehr zu halten. Was kein Wunder ist, wenn auf Talfahrt, denn der Kaiser fährt doch mit.
Aus welcher Richtung er wohl kommen mag? Durch diese hohle Gasse wird er wohl! Von wo ist er denn abgefahren? Vielleicht in Thüringen? Dort gab es einen großen Bahnhof für den Kanzler unseres deutschen Vaterlandes. Aber so spät erst? Wann ist es endlich so weit? Ob man ihn schon kommen hört, mit dem Ohr an der Schiene? Wahrscheinlich gibt es Verzögerungen, die werden auf Schienenersatzverkehr umsteigen müssen. Bestimmt hilft der Kanzler dann mit Stullen weiter. Schon in Erfurt hat man ihm lieb aus der Hand gefressen.
Wer fährt da alles mit: erste, zweite Klasse oder Holzabteil? Protestierendes und fahrendes Volk hat sich mit ihm auf den Weg geschickt. „Wir wollen rein!“ haben sie gerufen. Champagner floß in Strömen. Gelacht hat man und geweint. Wer zu spät kam, den bestraften die Lieben. Eine deutsche Linke stand im Regen mit ihrer Bahnsteigkarte. Ach, man müßte dabeigewesen sein.
Wie viele Wagen? Haben denn da alle reingepaßt? Wer wird zuerst am Ziel sein?
Heutzutage muß ja alles schnell gehen. Und da sollte die Srrecke auch mal elektrifiziert werden. Schließlich trifft es hinterher immer die Gleichen, die die schmutzige Wäsche waschen müssen. Wo kommen WIR denn da hin? Ja und, wird er, der Zug der Einheit, überhaupt halten in unserem Kaff? Bei mir sicher! Ich setze alle Signale auf Rot! Wollen doch mal sehen, was da so anrollt. „Noch dazu außerfahrplanmäßig. Sie sollen fast die Kontrolle über ihn verloren haben. Oho, am Ende des Tunnels ist schon Licht!
Christian Huten
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