piwik no script img

Radsport-WMDie Stadt und die Szene

Die WM-Stadt Stuttgart führt einen schier aussichtslosen Kampf um einen Neuanfang im Radsport. Beschuldigte Profis wie Paolo Bettini lässt das kalt.

Renitenter Favorit: Bettini will seinen WM-Titel verteidigen - sonst nichts. Bild: rtr

Die Radsport-WM hat begonnen. Der Bund Deutscher Radfahrer hat gleich am ersten Wettkampftag einen ersten ganz großen Coup gelandet. Hanka Kupfernagel gewann zum Auftakt der Welttitelkämpfe im Straßenradsport Gold im Einzelzeitfahren. Sie weinte Freudentränen, konnte ihr Glück kaum fassen und sah sich doch veranlasst, kräftig loszumotzen. Sie sei es leid, dass das Thema Doping alles andere überdecke. In der Tat versinkt die WM im Schwabenland schon vor dem ersten Auftritt der Stars im Profizirkus ganz tief im Dopingsumpf. Alle Bemühungen, die Titelkämpfe als Neuanfang zu inszenieren, sind gescheitert.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat den Bundeszuschuss für die WM in Höhe von 150.000 Euro eingefroren, weil sich Titelverteidiger Paolo Bettini (Italien) weigert, die von den Organisatoren geforderte Ehrenerklärung gegen Doping zu unterzeichnen. Alejandro Valverde, der verdächtigt wird, zu den Kunden des Blutdopingspezialisten Eufemiano Fuentes zu gehören, hat sein Startrecht, das ihm der Internationale Radsportverband UCI eben wegen jenes Verdachts entzogen hat, beim Internationalen Sportgerichtshof eingeklagt. Daraufhin erteilte die UCI dem Australier Alan Davis, der ebenfalls Fuentes-Kunde gewesen sein soll, die Starterlaubnis. Auch Bettini soll am Sonntag im Straßenrennen an den Start gehen. Die UCI sieht keine rechtlichen Möglichkeiten, den Italiener vom Rennen auszuschließen, nur weil er nicht bereit ist, eine Ehrenerklärung zu unterzeichnen, mit der er sich verpflichten würde, ein ganzes Jahresgehalt als Strafzahlung zu leisten, sollte er eines Dopingdeliktes überführt werden. Genau das will die Stadt Stuttgart nun überprüfen, indem sie versucht eine einstweilige Verfügung zu erwirken, um Bettini vom Start fernhalten zu können. Eine Entscheidung des Gerichts erwarte die Stuttgarter Sportbürgermeisterin und Chefin des WM-OK Susanne Eisenmann (CDU) bis spätestens Freitagmittag.

Zaungast beim Wettkampf der besten Fahrer der Nationalmannschaften ist Hans-Michael Holczer, der Teamchef des deutschen Rennstalls Gerolsteiner. Da bei der WM Nationalteams an den Start gehen, ist er nicht direkt am Renngeschehen beteiligt. Er verfolgt die Diskussionen um die Rad-WM mit Sorge. Sprudelhersteller Gerolsteiner hat vor einem Monat angekündigt, sich nach der Saison 2008 aus dem Radsport zurückzuziehen. Holczer sucht gerade einen neuen Geldgeber für sein Team. "Es sieht nicht schlecht aus", sagte er gestern der taz. Das allerdings liege vor allem daran, dass dem Thema Doping im Ausland eine viel geringere Bedeutung zugemessen werde als in Deutschland. In diesem Punkt befindet er sich auf einer Linie mit dem Präsidenten der UCI, Pat McQuaid, der sich gestern beklagt hat, dass die Dopingdiskussion in Deutschland allzu kritisch gesehen werde. Die Schlagzeilen, die derzeit anlässlich der WM produziert würden, hätten den Team-Manager Holczer beim Geldauftreiben allerdings "nicht gerade beflügelt".

Groß aufregen mag er sich nicht darüber, stellt beinahe schon resigniert fest, dass sich die Veranstalter der WM im selben Dilemma befänden wie die Rennställe, die sich für einen sauberen Radsport einsetzen, dem Dilemma zwischen gesundem Menschenverstand und ethischer Grundhaltung auf der einen Seite und den juristischen Gegebenheiten auf der anderen Seite. Genau das habe der Fall Valverde gezeigt, genau deshalb könne ein Bettini nicht von einem Start der WM abgehalten werden. "Der könnte sich immer einklagen", ist sich Holczer sicher, der gehört haben will, dass Bettini schon noch unterschreiben wird. In der Tat hat der noch amtierende Weltmeister vor dem Start der Deutschlandrundfahrt in diesem Jahr eine Erklärung unterzeichnet, mit der er dem Dopingmissbrauch abgeschworen hat. Was er nicht akzeptieren will, ist der Passus, der ihn sein Jahresgehalt kosten könnte. "Im Grunde genommen sind das doch Marginalien, um die es da geht", so Holczer zur taz. "Und zur gleichen Zeit liegen in Spanien 230 Blutbeutel, die von den Behörden nicht rausgerückt werden." Das sei doch der Kern aller Probleme. Alles was derzeit diskutiert werde, drehe sich um die Aufarbeitung der Vergangenheit im Radsport, ein neuer Dopingfall sei schließlich nicht publik geworden. Ob der Fall Fuentes (Holczer: "Es weiß doch immer noch keiner genau, wer auf der Liste stand") jemals aufgeklärt wird, werde immer unwahrscheinlicher: " Ich befürchte, dass der Fall bald eingestellt wird, dann bekommt der Herr Fuentes die Beweismittel, die Blutbeutel nämlich, zurück." Eine "riesige Chance" für den Radsport sei dann perdu.

Die Aussagen von Patrik Sinkewitz indes, der Bettini, nach einem Anhörungsprotokoll, das dem ZDF vorliegt, beschuldigt, ihm das Dopingmittel "Testogel" verkauft zu haben, können einem möglichen WM-Start des Italieners nichts anhaben. Dabei verdichten sich die Anzeichen, das Bettini jede Menge Dreck am Stecken haben könnte. Die italienische Gazzetta dello Sport berichtete gestern, Bettini habe Sinkewitz, seinen ehemaligen Teamkollegen beim Rennstall Quickstep, telefonisch mit einer Schadensersatzklage gedroht. "Ich hoffe, du hast Beweise für das, was du gesagt hast. Ansonsten ist das, was du T-Mobile schuldest, nichts dagegen", soll er gesagt haben. Sinkewitz war vor der Tour positiv auf Testosteron getestet worden und von seinem damaligen Team T-Mobile entlassen worden. So weit in der Vergangenheit liegen die Dopingfälle, über die derzeit diskutiert wird, also nicht.

Hanka Kupfernagels Sieg ist darüber beinahe schon wieder in Vergessenheit geraten. Und ob sie Recht hat, wenn sie sagt, im Frauenrennsport gehe es ganz anders zu als bei den Männern, darf getrost bezweifelt werden. Ende letzter Woche hat die ehemalige kanadische Straßenrad-Meisterin Geneviève Jeanson eingeräumt, schon mit 16 Jahren das Blutdopingmittel Epo eingenommen zu haben. "Epo ist unter uns", hat sie gesagt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!