piwik no script img

Radsport-Profiteam im Ruhrgebiet„Im Windschatten von Schalke 04“

Einen Rennstall in Deutschland zu etablieren ist derzeit schwierig. In Gelsenkirchen will man mit der Gründung eines Ruhr-Profi-Radteams eine Renaissance einläuten.

Grinsemann für´s Ruhrgebiet: der Radprofi Björn Schröder (hier noch im Milram-Trikot) wird in Zukunft für das neue Ruhr-Profi-Radteam RaiKo-Stölting fahren. Bild: dpa

GELSENKIRCHEN taz | Der ehemalige Radprofi Marcel Wüst sprach nur von den „Problematiken der Vergangenheit“. Doch alle Anwesenden im Foyer der Schalker Arena wussten, was gemeint war: Seit Jahren überschatten Dopingaffären den Radsport, Sponsoren stiegen reihenweise aus, zahlreiche Rundfahrten mussten aufgeben, Mannschaften wurden aufgelöst.

Der Profiradsport steckt in einer tiefen, selbst gemachten Krise. Und in der deutschen Öffentlichkeit, so scheint es, hat die Sportart, zumal nach dem tiefen Fall der ehemaligen Lichtgestalt Jan Ullrich, derzeit ein besonders schlechtes Image.

In solchen Zeiten einen neuen Rennstall etablieren zu wollen ist kein leichtes Unterfangen und benötigt viel Rückenwind. Deshalb war Wüst zusammen mit Rudi Altig nach Gelsenkirchen gereist, um in der Heimstätte des örtlichen Fußball-Bundesligisten das siebte deutsche Continental-Team zu präsentieren – und es seiner Unterstützung zu versichern.

Altig gab sich trotzig: „Es geht im Leben immer rauf und runter, und nach einer Linkskurve kommt auch die Rechtskurve. Der Radsport befindet sich wieder im Aufwind.“ Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski hofft zumindest im „Windschatten von Schalke 04“ auf eine „Win-win-Situation“.

Weiß-blaues Herz

Der Name der neuen Mannschaft wirkt recht sperrig, doch im Radsport sind die Hauptsponsoren die Namensgeber: 2012 startet also erstmals das „Ruhr-Profi-Radteam RaiKo-Stölting“. Die Macher sehen eine „herausragende Perspektive für die Positionierung eines neuen Profi-Radstalls in Gelsenkirchen, dem ’weiß-blauen Herzen‘ des Reviers“.

Doch sie schielen auf die gesamte Region und streben vollmundig eine „Renaissance des Profi-Radrennsports im Ruhrgebiet mit internationalen Ambitionen“ an. Er glaube an die Zukunft der Sportart, sagt Hans Mosbacher, geschäftsführender Gesellschafter der Stölting Dienstleistungsgruppe, eines mittelständischen Familienunternehmens mit Sitz in Gelsenkirchen.

Derzeit ist der neue Rennstall als Continental-Team nur drittklassig. Dennoch hofft Mosbacher, der sein finanzielles Engagement im Radrennsport offen auch mit wirtschaftlichen Interessen begründet, dass die Mannschaft einmal bei der Tour de France starten wird. Ausgelegt sei das Projekt zunächst auf drei Jahre, so Mosbacher, ein längeres Engagement werde aber angestrebt.

Der Radsport hat in den vergangenen Jahren viele Mannschaften kommen und sterben sehen. Nicht unweit der Schalker Arena, in der Nachbarstadt Essen, wurde 1999 das Team Coast, benannt nach der gleichnamigen Boutiquenkette, mit viel Tamtam und mit namhaften Profifahrern wie Alex Zülle und später – für ein kurzes Intermezzo – auch mit Jan Ullrich aus dem Boden gestampft.

Nachhaltigkeit statt Schickimicki

Nach vier Jahren ging das Geld aus. Zuletzt drehte Ende 2010 Nordmilch seinem Team Milram den Geldhahn zu. In Gelsenkirchen mag es etwas bodenständiger zugehen, statt Schickimicki will man es nachhaltiger angehen und sich schrittweise fortentwickeln. Und der Etat, den Stölting zusammen mit anderen Sponsoren stemmt, nimmt sich mit den veranschlagten 700.000 Euro pro Jahr auch vergleichsweise bescheiden aus. Für ein seriöses Pro-Team muss man gut das Zehnfache hinlegen

Mit dem Ruhr-Profi-Radteam meldet sich auch Jochen Hahn, der ehemalige Sportlicher Leiter des Teams Milram, zurück. Hahn hat sich einen Namen als Förderer junger Talente gemacht. Unter seiner Obhut entwickelten sich Linus Gerdemann, der Sieger der Deutschland-Tour 2008, und Gerald Ciolek zu herausragenden Rennfahrern.

Auch Björn Schröder zählt zu Hahns Schützlingen: Der 31-jährige Berliner Radprofi aus dem ehemaligen Milram-Stall, mit Tour-de-France-Erfahrung ausgestattet, führt das neue Ruhrteam aus meist jungen Nachwuchsfahrern (Durchschnittsalter 22 Jahre) aus Deutschland, Niederlande und Belgien an.

„Erst mal eine Continental-Mannschaft“

Dazu zählt auch der amtierende deutsche Bergmeister der U23, Nils Plötner. Jochen Hahn beugt überhöhten Erwartungen vor: „Ein Profiteam zu werden, das ist erst mal nur die Perspektive. Wir sind und bleiben erst mal eine Continental-Mannschaft.“ Und deswegen fahren alle Aktiven zweigleisig, gehen einem Beruf oder einer Ausbildung nach, um deren Vermittlung sich die Sponsoren bemüht haben.

„Ich freue mich auf die Arbeit mit den jungen Fahrern und lasse mich überraschen, was daraus wird“, sagt Hahn. Aber er weiß auch aus Erfahrung, dass es nicht einfach wird. Es ist eben keine leichte Zeit für den Radsport.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!