Radler als Raserbremsen

„Gefahrloser Begegnungsverkehr“: Mit gezielten Umbauten will die Stadt den starken Autoverkehr in der Straße Achterdiek bremsen. Ausgerechnet die Radfahrer sollen helfen, Autofahrer zu bändigen

„Die Stadt hat das gegen den Willen der Bevölkerung durchgezogen.“

taz ■ Wolfgang Thuilot hat aufgegeben. So sehr er seine Wohnung in der Straße Achterdiek mag, im September wird er sie verlassen und in die Neustadt ziehen. „Ich habe den Lärm nicht mehr ausgehalten“, klagt der 45-Jährige. „Ich möchte endlich wieder bei offenem Fenster schlafen können.“

Schon seit Jahren kämpfen die Bewohner des Achterdiek – hochdeutsch: hinterm Deich – gegen den lästigen Durchgangsverkehr. Zahlreiche Autofahrer nutzen die kleine Straße in Horn-Lehe als Schleichweg von Oberneuland zur A 27 oder als Umgehung der viel befahrenen Schwachhauser Heerstraße. „Morgens um vier geht das los“, berichtet Thuilot, „dann rasen die ersten hier durch.“ Offenbar hat sich der Schleichweg längst über die Stadtgrenzen hinaus herumgesprochen: „Die Kennzeichen der Autos stammen aus Rotenburg, Osterholz, aus dem ganzen Umland“, hat eine andere Anwohnerin beobachtet.

Der Stadt ist dieses Problem seit längerem bekannt. Nun hat das Amt für Straßen und Verkehr die ersten Umbauten an der Straße abgeschlossen. Hehres Ziel: Der Durchgangsverkehr soll reduziert werden, die Autos sollen langsamer fahren. Ein Mini-Kreisel wurde eingerichtet, die Höchstgeschwindigkeit auf 30 Kilometer pro Stunde heruntergesetzt.

Viele Anwohner halten die Baumaßnahmen allerdings für misslungen. Zum Beispiel die so genannte „Nase“, eine Ausbuchtung mit erhöhtem Bordstein, die den Durchgangsverkehr zum Halten zwingen sollte. Auf Drängen der BSAG wurde das Hindernis auf die andere Straßenseite gelegt und behindert nun den Anwohnerverkehr. Der Durchgangsverkehr hingegen hat weiterhin freie Fahrt.

Was die Anwohner besonders empört: Im Zuge der Baumaßnahmen hat die Stadt auch die Fahrradwege weggerissen. Hintergrund ist eine Richtlinie des Bundes: Danach sollen Bereiche mit Tempo 30 grundsätzlich keine Radwege mehr bekommen; wo Umbauten anstehen, sollen die Radwege folglich entfernt werden. Die Radfahrer müssen nun statt des Radweges die Straße benutzen. Sie sollen so – neben Kreiseln und Fahrbahnverengungen – auf natürliche Weise den Verkehr am Achterdiek beruhigen.

Gerade für Kinder ist das gefährlich. Zumal viele Autofahrer sich nicht an das gewünschte friedliche Miteinander halten: „Die rasen hier genauso durch wie früher“, sagt Wolfgang Thuilot. Horn-Lehes Ortsamtsleiter Ulrich Mix (CDU) bezeichnet die Baumaßnahmen schlicht als „Unsinn“. „Die Stadt hat das gegen den Willen der Bevölkerung durchgezogen“, sagt er. „Die Verkehrssituation ist dadurch nicht sicherer, sondern unsicherer geworden.“ Bisher seien die Eingaben des Beirats Horn-Lehe gegen den Umbau jedoch erfolglos geblieben.

Die Stadt will daran auch nichts ändern. „Das sind bewusst geplante Maßnahmen“, sagt Holger Bruns, Sprecher des Bausenators. „Wir wollen damit erreichen, dass die Verkehrsteilnehmer mehr Rücksicht aufeinander nehmen.“ Die Angst der Anwohner hält er für unbegründet. Die Fahrbahn eigne sich für „gefahrlosen Begegnungsverkehr“ zwischen Auto- und Radfahrern, heißt es auch in der Antwort des Bremer Senats auf eine Anfrage der CDU-Fraktion zum Thema.

Bald werden deshalb auch die restlichen Radwege im Achterdiek verschwinden. Momentan ist das Geld zwar noch nicht bewilligt, deshalb kann die Stadt noch keinen konkreten Baubeginn nennen. Der zweite Bauabschnitt werde aber folgen, versichert Bruns.

„Morgens um vier geht das los, dann rasen die ersten hier durch.“

Viele Radfahrer fahren aus Angst vor den Autos mittlerweile auf dem Fußweg. Wolfgang Thuilot dagegen setzt den Gedanken der Behörde konsequent um und bremst den Autoverkehr auf eigene Gefahr: „Ich fahre jetzt immer möglichst weit in der Mitte der Straße, so dass die Autos mich nicht mehr überholen können.“

Steffen Hudemann