Radio Multikulti wird abgesetzt: Mehr geliebt als gehört
Radio Multikulti war der erste Sender, der den demographischen Wandel in Deutschland Ernst nahm. Jetzt wird er wieder eingestellt.
Sie fließen gerade wieder massenhaft, die Krokodilstränen. Der RBB, die ARD-Anstalt für Berlin und Brandenburg, macht aus Kostengründen Radio Multikulti dicht - wie kann das angehen? Ausgerechnet in der Hauptstadt, der wohl multinationalsten Metropole der Republik, soll zum Jahresende ein Sender abgeschaltet werden, der immer mehr sein wollte als ein "Integrationsradio" - und es tatsächlich auch ist.
Vielleicht sähe es anders aus, wenn viele, die jetzt Multikulti beklatschen und beklagen, auch im täglichen Leben mal eingeschaltet hätten. Denn so viele HörerInnen finden bislang nicht den Weg auf die Multikulti-Frequenz 96,3. Trotzdem: Das wohl beschlossene Aus für den Sender ist ein echter Schlag ins Kontor: für den RBB, die ARD, Berlin und Deutschland an sich.
Schließlich leistet Multikulti schon im Programm Außerordentliches: Beim Sender arbeiten Menschen aus über 30 Ländern. Das bedeutet viele Ausblicke über den teutonischen Tellerrand, manchmal ist sogar im Programm Akzent erlaubt. "Radio Multikulti ist gelebte Integration", lautet das Credo von Chefredakteurin Ilona Mahrenbach, und das Programm zeigt es jedenfalls mehr als alle anderen in der großen weiten ARD. Von 6 bis 17 Uhr spricht man hier deutsch, will eine "beidseitig befahrbare Brücke zwischen dem deutschen und nichtdeutschen Publikum" bauen. Wie Mahrenbach das formuliert, klingts zwar etwas pathetisch, ist aber eben mehr als das übliche, früher auch bei anderen ARD-Anstalten gepflegte Gastarbeiter-Radio, wo Menschen in der Sprache ihrer Herkunftsländer mit einem echten Minderheitenprogramm abgespeist wurden. Das "Funkhaus Europa" des WDR, das nun ab 2009 anstelle von Multikulti auch in Berlin sein Programm senden soll, ist hier zwar auch schon weiter.
Doch fehlen ihm notgedrungenerweise die lokalen Bezüge - und so könnte es mit der Akzeptanz schwer werden. Denn gerade neu aus dem Ausland zuziehende Menschen orientieren sich eben zunächst mal lokal.
In Berlin und der Region ist Multikulti zudem Partner unzähliger multi- und interkultureller Initiativen, Organisationen und Events - vom kleinen, lokalen Kiezfest bis zum Karneval der Kulturen, der jüngst zu Pfingsten erst wieder schlappe anderthalb Millionen BesucherInnen aus aller Welt an die Spree gelockt hat.
Beim RBB heißt es auf Nachfrage knapp, man gehe davon aus, dass auch mit dieser Zusammenarbeit zum Jahresende leider Schluss sein müsse.
Doch nicht nur der Region, der ganzen Republik geht etwas verloren, denn per Internet-Livestream ist Multikulti natürlich überall präsent und hörbar. Der Sender ist zudem eines der besten Schlupflöcher für junge JournalistInnen und Medienmenschen mit interkulturellem Hintergrund: Hier können sie Erfahrung sammeln und Leistungen präsentieren, die hinterher von anderen nicht mehr so einfach zu ignorieren sind.
Auch für die ARD, ja den ganzen öffentlich-rechtlichen Rundfunk kommt das Aus eigentlich zur Unzeit: Dort beginnt man eben erst mit jahrzehntelanger Verspätung zu begreifen, dass Deutschland längst Einwanderungsland und multikulturelle Gesellschaft ist. Man sucht händeringend ModeratorInnen und Redakteure nichtdeutscher Herkunft und entdeckt die interkulturelle Zielgruppe. Dass jetzt der älteste Sender auf diesem Gebiet dran glauben soll, die Pioniere nach Hause geschickt werden, macht keinen Sinn. Übrigens auch medienpolitisch nicht.
Schließlich ist das öffentlich-rechtliche System gerade in Raufhändel mit der Politik und den Verlegern verstrickt.
Seine Programme würden denen der privaten Anbieter immer ähnlicher, heißt es von Kritikerseite hier nicht ganz unberechtigt. Bisher war gerade Multikulti in dieser Debatte immer ein höchst willkommener Gegenbeweis für die gute, öffentlich-rechtliche Sache.
Doch nicht nur Multikulti steht auf der Abschussliste: Der RBB metzgert mit "Polylux" auch eine der wenigen Duftmarken, die die Anstalt im großen Ersten ARD-Programm setzt. Man mag von der schon immer in die Jahre gekommenen Zeitgeist-Show halten, was man will: Auch mit ihr geht der kleine RBB über das üblich biedere Angebot hinaus. Dass alle über Multikulti weinen, aber niemand an den sympathischen Moderationsroboter Tita von Hardenberg denkt, ist also ein kleines bisschen ungerecht.
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