: Radikalität als Selbstzweck
Von verunsicherten Individuen, deren Fanatismus und ihrem grausam konsequenten Glauben: Sebastian Hartmann inszeniert am Schauspielhaus „Opfer“ nach Andrej Tarkowski
von CAROLINE MANSFELD
Das Anliegen ist löblich. Das Schauspielhaus nimmt sich die Überforderung des Menschen durch den Krieg zum Thema. Der Titel der Reihe: „Der Krieg und die Liebe“ (taz berichtete). Doch die Produktion Opfer nach Andrej Tarkowski könnte viele Zuschauer überfordert haben, verschließt sich das parabelartige, antinarrative im Werk des russischen Filmregisseurs doch jedem direkten Zugang.
Für einen Stückeaufbrecher wie Sebastian Hartmann ist der sperrige Stil Tarkowskis ein gefundenes Fressen. Beide teilen zudem die Liebe zum Film. Doch indem Hartmann den Russen zitiert und persifliert, das Werk ergänzt und zu einer Collage anreichert, verwischt er vollends die Spuren des Originals.
Ungewohnt ist schon die Spielstätte: die Hinterbühne des Schauspielhauses. Das Holzhaus auf Wiesengrund vermittelt eine nur scheinbare Idylle. Aus dem umgebenden Fluss dampft eine düstere Chemikalie und verbreitet Endzeitstimmung. Das Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur ist nicht mehr im Lot. Die wenigen Menschen bewegen sich langsam, sie reden langsam und quälen sich mit knappen, banalen Dialogen durch den Tag.
Peter René Lüdicke gibt den intellektuellen Schauspieler Alexander als weichen Kraftmenschen, der an seinem 50. Geburtstag ins Grübeln gerät. Er hadert mit dem einst so geliebten Beruf und mit der kalten materialistischen Welt. Schwermut ergreift ihn vollends, als ihm sein Arzt Viktor, Thomas Lawinky, sagt, dass er unheilbar krank ist. Sichtbar wird das allerdings nur an Lawinkys zitternder Hand, mit der er den Arztkoffer schwenkt, bevor er effektvoll auf der Wiese ausrutscht.
Cordelia Wege schleudert als Ehefrau Adelaide exzentrisch ihr langes Haar und geht ihrem Mann neurotisch um den Bart. Oder sie läuft schreiend hinter dem Sohn (Alexander Knapp) her. Alle scheinen eigenartig paralysiert und irgendwie nicht von dieser Welt. Guido Lambrecht kriecht als Postbote aus der Tonne. Die Bühne dreht und dreht sich und gibt das Innere des Hauses frei. Unter dem Türbogen im Regen verkündet Postbote Otto eine bizarre Geburtstagsbotschaft. Doch da haben die Medien die nukleare Katastrophe längst ins Wohnzimmer getragen.
Der 1986 verstorbene Andrej Tarkowski drehte seinen Film Opfer kurz vor seinem Tod im französischen Exil – auf dem Höhepunkt der Atomdiskussion. Der entseelten materiellen Welt setzte er Vergänglichkeit und die apokalyptische Katastrophe entgegen. Und da kann nur überleben, wer glaubt.
Doch die ersehnte Erlösung verlangt nach einer Opfergabe. Lüdicke muss dafür allerdings erst seinen Garten umgraben, woraufhin sich die Drehbühne hebt und eine finstere Höllenszenerie offenbart. Dort kramt er tief im Unbewussten, begegnet seiner verstorbenen Frau, die ihn mit dem Ausruf: „Bist du vom Fahrrad gestürzt?“ empfängt.
Am Schluss findet Alexander, der sich nichts so sehr wünscht, als „dass alles wieder so ist, wie früher, wie gestern, wie heute Morgen“, die Lösung aller Probleme in der Auslöschung seiner Familie – aus Liebe.
Diese Radikalität im Glauben, diese Konsequenz der Opferung seiner selbst und anderer flimmert heute täglich über die Bildschirme. In Hartmanns Inszenierung sieht man eine Schar schwerst paralysierter Endzeitwesen, die ihrer Verzweiflung durch eine radikale Aktion zu entkommen suchen. Doch so überzeugend alle Darsteller hier ihre existenzielle Verzweiflung ausleben, die bizarre Logik des Opfertodes bleibt in dieser Inszenierung fremd.
nächste Vorstellung: 16.4., 20 Uhr, Schauspielhaus