: „Rachegefühle sind bei mir nicht vorhanden“
HIV-Infizierter war Zeuge im Karlsruher Aids-Prozeß / Sein Sexualpartner wurde wegen Körperverletzung verurteilt ■ I N T E R V I E W
taz: Ihr Sexualpartner, der Sie mit dem Aids-Virus angesteckt haben soll, ist jetzt in letzter Instanz vom Bundesgerichtshof zu eineinhalb Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden wegen vollendeter gefährlicher Körperverletzung. Was sagen Sie zu dem Urteil?
Peter Meier (*): Ich finde, daß dieses Urteil in Ordnung geht. Es liegt der Tatbestand der Körperverletzung vor, und es kommt dazu, daß X. (der Sexualpartner, die Red.) von seiner Infektion gewußt und mir nichts gesagt hat. Solch ein Verhalten ist schon sehr fahrlässig und unverschämt. An dem Urteil habe ich nichts auszusetzen. X. hat Bewährung gekriegt und ist von einer Haftstrafe verschont geblieben, was ich gut finde. Andererseits bringt das Urteil nichts für mich. Rachegefühle sind bei mir nicht vorhanden.
Zum Sex gehören immer zwei, und den Schutz vor Aids darf nicht nur den Infizierten überlassen werden, zumal viele Menschen ja gar nicht wissen, daß sie infiziert sind. Gerade Ihr Fall hat doch gezeigt, wie schnell das in die Hose geht.
Das ist richtig. Aber andererseits verläßt man sich auch darauf, daß ein Infizierter, der es weiß, ein Kondom benutzt oder sagt, daß er positiv ist. Ich habe ja auch zu ihm gesagt, daß bei mir „nichts“ ist.
Wie konnten Sie das überhaupt von sich so sicher behaupten?
Ich bin regelmäßiger Blutspender, und da wird ja automatisch ein Test gemacht. Außerdem hatte ich eine längere feste Partnerschaft.
Aber es ist doch bekannt, daß frische Infektionen zum Teil mehrere Monate lang über Tests gar nicht nachweisbar sind. Die Präventionsbotschaft heißt, daß grundsätzlich Kondome verwendet werden sollen, und daß man sich eben gerade nicht auf gemachte und nicht gemachte Tests verlassen darf.
Die entscheidende Frage ist, wie weit das im Bewußtsein drin ist. Wenn man selbst keinen Infizierten oder Kranken kennt und wenn man dann noch im Saarland wohnt, wo bis vor zwei Jahren kaum Aids-Fälle bekannt waren, dann schätzt man eben das Risiko sehr gering ein. 1987, als es zu der Ansteckung kam, hatte ich mich mit Aids auch noch nicht so vertraut gemacht wie heute. Es geht wohl jedem so, daß dieses Problem doch verdrängt wird. Dazu kommt das Gottvertrauen, daß bei diesem einen Mal schon nichts passieren wird.
Fühlen Sie sich heute für die Ansteckung mitverantwortlich?
Klar, ich hätte knallhart auf den Gebrauch eines Kondoms bestehen müssen. Ohne Gummi läuft nichts, und damit basta. Aber da spielen eben noch die Gefühle eine wichtige Rolle. Sexualität ist nun mal kein rationaler Vorgang. Es gibt immer einen Punkt, an dem der Verstand ausgeschaltet wird.
Sie sind jetzt selbst infiziert. Diese Infektion dem Partner mitzuteilen ist sicher nicht einfach, weil der Angst kriegen und weglaufen könnte. Ist das Verheimlichen also nicht auch ein Stück weit verständlich?
Eine Verlustangst ist natürlich immer da. Die Infektion muß allerdings nicht ausdrücklich mitgeteilt werden. Es genügt, auf einem Kondom zu bestehen. Das könnte ja auch für den eigenen Schutz sein. Auch ich habe meinem heutigen Partner nicht von Beginn an gesagt, daß ich positiv bin, sondern habe nur auf Safer Sex bestanden. Später kam dann der Punkt, wo ich gemerkt habe, daß Offenheit und Vertrauen in einer Partnerschaft verlangen, daß ich es ihm sage. Er ist dann trotzdem bei mir geblieben. Andere packen den Koffer.
Welches Verhältnis haben Sie heute zu X.?
Wenn ich ihn treffe, ist natürlich immer im Bewußtsein drin, daß er derjenige war. Ich versuche trotzdem, normal mit ihm umzugehen. Wir können beide nichts mehr daran ändern, und jetzt muß jeder für sich das Ergebnis verdauen.
Sie selbst haben keine Anzeige erstattet, sind aber als Zeuge vernommen worden.
Das war eine sehr große Belastung. Die Verhandlung war öffentlich mit rund 100 Personen im Gerichtssaal. Ich fühlte mich an vergewaltigte Frauen erinnert, die im Gerichtssaal dieselben sexuellen Details schildern müssen. Das ist schon sehr beschämend.
War Ihnen bewußt, daß Sie mit Ihrer Zeugenaussage X. in den Knast bringen könnten?
Für mich war klar, daß X. bestraft werden muß. Ob Bewährung oder Knast, das lag nicht an mir. Aber auch bei einem Freispruch hätte ich sicherlich nichts gegen ihn unternommen.
Warum haben Sie nicht selbst geklagt?
Zum damaligen Zeitpunkt stand bei mir die Infektion im Vordergrund. Damit mußte ich erst mal klarkommen. Das Gesundheitsamt hat mir dann die Klage abgenommen.
Interview: Manfred Kriener
(*) Name von der Redaktion geändert
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