: Rachefeldzug in Niger
■ Verschärfter Krieg gegen Tuareg-Rebellen: „Massenfestnahmen“ und „willkürliche Mißhandlungen“
Berlin (taz) — Die Tuareg-Bevölkerung des afrikanischen Niger wird seit nahezu zwei Wochen von einer Repressionswelle unkontrollierter Armee-Einheiten überzogen. In allen Städten außer der Hauptstadt Niamey herrscht de facto der Ausnahmezustand. Es ist die schwerste Zuspitzung des seit zwei Jahren andauernden „Wüstenkrieges“ zwischen dem nigrischen Militär und dem rebellierenden Tuareg-Volk, der auf Armeeseite etwa 350 Tote gefordert hat, auf ziviler Seite noch mehr.
Die neuesten Auseinandersetzungen begannen in Agadez, der größten Stadt im Tuareg-bewohnten Norden. Am 26.August entführten Unbekannte den Chef der politischen Polizei aus Agadez; eine verfolgende Armee-Einheit geriet am nächsten Tag in einen Hinterhalt, wobei 17 Soldaten ums Leben kamen und 40 weitere von Guerilleros der Tuareg-Organisation „Befreiungsfront von Air und Agadez“ (FLAA) gefangengenommen wurden. Nach der taz vorliegenden Berichten versammelten sich daraufhin in Agadez wütende Soldaten beim Präfekten der Region und nahmen ihn schließlich fest.
„Eigenmächtiges, unkontrolliertes Vorgehen von Teilen der Armee, Polizei, Republikgarde und Gendarmerie“, so die Berichte weiter, kennzeichneten die Situation in Agadez in den nächsten Tagen. Während hohe Offiziere aus Niamey einflogen, um mit der meuternden Soldateska zu verhandeln, erfuhren die Tuareg von Agadez „willkürliche Mißhandlungen“, „Sachbeschädigungen, zum Beispiel eingeschlagene Türen“ und „Verhaftungen, systematisch nach einer Liste“. Das Ergebnis: „Massenfestnahmen, Massengeiselnahmen von Zivilisten ohne Haftbefehle“. Damit sollen die von der FLAA gefangenen Soldaten freigepreßt werden. Am 30.August solidarisierten sich Armeeinheiten in der südlichen Stadt Zinder und auch in Niamey mit den Meuternden von Agadez, unter anderem auch wegen ihres seit zwei Monaten ausbleibenden Soldes.
Nigers Ministerpräsident Amadou Cheiffou stellte sich hinter die Soldaten, um einen Putsch zu vermeiden, rief aber gleichzeitig zu Ordnung und Disziplin auf. Als Reaktion erklärte der Oberbefehlshaber der Streitkräfte am vergangenen Mittwoch, die Armee sei Herr der Lage und würde nach Recht und Ordnung vorgehen. Die FLAA hingegen lehnte einen möglichen Gefangenenaustausch ab und bezeichnete das Vorgehen des Militärs als „Krieg“. D.J.
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