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Rache der Laubenpieper

■ Ein letzter Kommentar zur Heimkehr der Marlene Dietrich und den Berliner Grilletten-Groupies, die sie verhöhnen

Ordentliche Deutsche wie Uwe Barschel und Friedrich der Große haben sie bekommen, der letztere sogar mehrmals: eine prunkvolle Beerdigung vor einer monumentalen Kulisse. Ob im Lübecker Dom oder in den Gärten von Sanssouci, weinende Untertanen säumten ihren Weg und erwiesen ihnen die letzte Ehre. Diese Feierlichkeiten wurden natürlich nicht kurzfristig abgesagt, weil die Trauernden alle schon zu krank oder senil waren, und niemand beschwerte sich darüber, daß Steuergelder dafür verschwendet wurden.

Anders bei der unordentlichen Deutschen, Marlene Dietrich. Was hat dieser Mega-Star aus Schöneberg eigentlich verbrochen, daß sie 50 Jahre nach Kriegsende immer noch einen Reichsparteitag der Emotionen bei der deutschen Bevölkerung auslösen kann? Weil sie keinen Persilschein brauchte? Weil sie nicht gewillt war, in der Jauchegrube der Geschichte herumzuplantschen? Oder schlicht und einfach, weil sie eine Verkörperung der Zivilcourage darstellte?

Man hatte sie so angenehm aus dem Gedächtnis verdrängt, und nun starb sie, kam nach Hause und erinnerte alle an den braunen Fleck auf dem soeben zusammengeflickten deutschen Hochzeitskleid. Vor ihrer Ankunft in Berlin ergötzten sich die Sudelsüchtigen dieser Stadt an den Details ihrer Liebesbeziehungen, auch an denen zu Frauen. Da war die Gossenpresse schnellstens dabei. Dieselbe Presse, die niemals erwähnen würde, daß Friedrich der Große ausschließlich schwul war und mit Katte auch seinen Spaß hatte. Aber Marlene Dietrich war nur eine Frau und dem Pass nach auch noch Ausländerin.

Während der Berliner Senat zwischen Ängstlichkeit und Profilierungsekstase hin und her schwankte, nahm das ganze Theater die Form einer mißlungenen Episode von Hurra Deutschland an. Und es kam schlimmer: Als andere Länder um den letzten deutschen Weltstar trauerten, muckte der debile Rest des Berliner Showgeschäfts auf und holte zum Frontalangriff aus. Eine gewisse Evelyn Künneke („70 und kein bißchen weise“), deren wenige Anhänger einer Minderheit angehören, die von Vaterlandsliebenden in die Konzentrationslager geschickt wurden, fühlte sich ermuntert, ihr geriatrisches Gewäsch loszuwerden und klagte über „Vaterlandsverleugnung“. Brigitte Grothum, die Buletten-Else in höchster Vollendung, mußte auch noch ihren Senf dazugeben und quasselte von einer „launischen Diva, die sich gegen Berlin ausgesprochen hat“. Es können noch so viele Grilletten-Groupies aus den Imbißbuden des Fernseh-Vorabendprogramms ihre vorstädtische Empörung kundtun — sie alle können Frau Dietrich nicht mal die Currywurst reichen.

Der Schriftsteller Ernest Hemingway, ebenfalls Weltbürger, wußte die Qualitäten der aufrichtigen Antifaschistin zu schätzen: „Ihre Meinung ist mir mehr wert als die der Kritiker, denn sie kennt sich in den Dingen aus, über die ich schreibe — Land und Leute, Leben und Tod, Fragen der Ehre und des Verhaltens. Ich weiß jedenfalls, daß ich Marlene noch nie sehen konnte, ohne daß sie mir zu Herzen ging und mich glücklich machte.“

Die geliebte „Vaterlandsverräterin“, die einem Haufen Xenophober eine Abfuhr erteilte und jetzt dafür bespuckt wird, ist heimgekehrt. Ihr letzter Weg führte durch Straßen der tristen Bedeutungslosigkeit, inszeniert von Meistern der Mittelmäßigkeit. Marlene Dietrichs zweiter Auftritt in der „Freudlosen Gasse“ — die Rache der Laubenpieper-Hauptstadt. Neil Spence

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