: Rabenvögel in Weiß?
■ Betr.: „Krähen im weißen Kittel“ (Patienten wehren sich erfolgreich gegen Kunstfehler), taz vom 4.2.94
Der gesetzliche Schutz des Patienten gegen medizinische Fehler ist absolut notwendig, ebenso das gesellschaftliche Bewußtsein hierfür. Doch eine Tatsache muß klar sein: Wird dieses Problem in unserer hochtechnisierten, modernen (und manchmal auch inhumanen) Medizin hauptsächlich auf juristischem Gebiet ausgetragen, gibt es zwei große Verlierer: 1. der Patient, 2. das medizinische Personal (Ärzte, Schwestern, Hebammen...).
Abschreckendes Beispiel sind die USA, wo die Prozeßflut und die Rechtsprechung groteske Formen angenommen haben. Der US- Bürger zahlt riesige Summen für die Gesundheitsversorgung, denn er finanziert indirekt eine ganze „Industrie“ von Juristen und Versicherungen (z.B. Ärztehaftpflicht) mit. Wer ernsthaft krank wird, ist finanziell ruiniert.
Schon heute werden zum Teil stark belastende, fragwürdige therapeutische und diagnostische Maßnahmen aus Gründen der forensischen Absicherung am Patienten durchgeführt. Mutige, humane Entscheidungen werden zum Beispiel bei unheilbar Kranken von vielen Ärzten aus juristischer Unsicherheit und Angst gescheut.
Patienten haben heute Anspruch auf einen medizinischen Standard, der vor wenigen Jahren nicht möglich war. Aber diese mit großem menschlichen und finanziellem Aufwand betriebene moderne Medizin hat ihre Schattenseiten. Der Patient wird bekannterweise immer mehr zum rein medizinischen Objekt, der Klinikarzt immer mehr zur „Gesundheitsproduktionsmaschine“ mit exzessiven Arbeitszeiten in den Kliniken (zum Beispiel Dienste von über 30 Stunden Dauer).
Die Möglichkeit von Kunstfehlern muß so gering wie möglich gehalten werden. Immer schlechter werdende Arbeitsbedingungen in den Kliniken (jetzt weiter verschärft durch das sogenannte Gesundheitsstrukturgesetz von Seehofer) sind dazu kaum geeignet. Roger Kühn, Klinikarzt, Speyer
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