: RUDOLF KAYSER
■ REBELLISCHE LITERATEN
R U D O L F K A Y S E R R E B E L L I S C H E L I T E R A T E N In diesem unsicheren Berlin, seiner verbissenen Geldgier und zweifelhaften Lustigkeit, mußten rebellische Literaten verfahren wie die Urchristen im alten Rom: Man war gezwungen, krypterisch Gott zu opfern. Die Öffentlichkeit lachte und spottete über sie, meist aber schwieg man. Diese Lage, verbunden mit einem leicht genialischen Aristokratismus, bewirkte es, daß man sich in die verrauchten Hinterzimmer westlicher Cafes oder in mondäne Buchhandlungen zurückzog, um dort einem kleinen Publikum vorzulesen. Und doch lag keinem die tolpatschige Weltstadt mehr im Blut als uns Zwanzigjährigen. In unserem Inneren erbauten wir sie mit steilen Rhythmen, tosenden Straßenecken, Abenteuern und Barrikaden. Während an ihren nüchternen Alltagshäusern kein Blick sich entzündete, belebten wir sie phantastisch durch abseitige Gefühle... Die entscheidenden Vorstöße befehligte Kurt Hiller. Er schuf, französisch in der Farbe, deutsch in der Sachlichkeit, literarische Cabarets: 1909 das „Neopathetische“, 1911 das „Gnu“. Dort las man, unter den Lachsalven einiger verwirrter Bürger und dem schnellen Erwärmen vieler Junger: Ausrufe, Polemiken, Philosophien und Dichtungen. Hiller eröffnete mit Worten heiterer Feierlichkeit und - trotz stürmischer Musik
-stahlharter Logik. Manche Hinrichtung ward vollzogen; ein neues Pathos verkündet: „nicht als gemessener Gebärdengang leidender Prophetensöhne, sondern als universale Heiterkeit, als panisches Lachen“.
Die Dichter hatten durch George und Rilke die Wunderhaftigkeit der Sprache erfahren. Doch anders als diese stürzten sie sich auf die Welt. Mit züngelnden Nerven und Leidenschaften. Man ver-dichtete die Erde bis zum konzentrierten Ich-Erlebnis; der Atem der Stadt kehrte zurück in die Seelen. So Jacob von Hoddis, ein lyrischer Futurist und rasender Beweger. Ihm verwandt: die tragischen Grotesken des (gefallenen) Alfred Lichtenstein. Georg Heym, der 24jährig im Wannsee ertrank, läßt das Dasein in neuen Mythen des Grauens und Schreckens vorüberziehen. Paul Boldts Sinnlichkeit schafft statuarische Bilder. Ernst Blass, der unlängst zur George-Gemeinde übertrat, gibt in unendlich beschwingten Versen die weicheren Manifestationen des neuen Städtertums. Alfred Wolfensteins Gedichte sind die überaus redlichen Projektionen einer tiefst empfundenen Hirnlichkeit.
Ein Rückblick auf den Frühexpressionismus, dessen Zeit noch vor dem Ersten Weltkrieg lag; Georg Heym, der bedeutendste der hier aufgezählten Dichter. Rudolf Kayser schrieb diese Zeilen 1918. Ausgewählt vonMichael Tabitzsch
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