ROT-GRÜN-BILANZ (4): Schulfrieden statt Schule für alle
Binnen vier Jahren hat Senatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD) das Bremer Bildungssystem gründlich umgekrempelt - auf eine bemerkenswert geräuschlose Weise.
Wohl kein gesellschaftlicher Bereich hat in den vergangenen Jahren so eine sichtbare Neuordnung erfahren wie die Bremer Schullandschaft. Renate Jürgens-Pieper (SPD), die 2007 ins Amt gekommene Senatorin, hatte dabei kein leichtes Erbe anzutreten. Ihr Vorgänger Willi Lemke war in der Bevölkerung deutlich populärer als in der Partei, er hatte in seiner umtriebigen Art Bewegung in die Bremer Schulen gebracht, die Reste der SPD-Schulstruktur aber kaum angetastet.
In seine Zeit fiel das niederschmetternde Pisa-Ergebnis und das Eingeständnis des vormaligen Bildungssenators Henning Scherf, die "Laterne" beim Pisa-Test habe auch mit der Tradition der sozialdemokratischen Bildungspolitik zu tun. Lemke hatte die Orientierungsstufe abgeschafft, nicht aber die Stufen-Schulzentren, von denen sich die SPD einmal die "horizontale" Integration versprochen hatte: Haupt-, Real- und Gymnasial-Schüler eines Jahrganges sollten in einem "System" unterrichtet werden.
Jürgens-Pieper hatte früher einmal an einem Konzept für die niedersächsische Reform-Gesamtschule Franzsches Feld mitgearbeitet, die ihr Mann über Jahre leitete. Vor dem Hintergrund ihrer Idee von Gesamtschule staunte sie nicht schlecht, dass man an einer Bremer Gesamtschule kein Abitur machen konnte. Sie entwarf für Bremen das Modell wieder "vertikal" orientierte Gesamtschulen, die den unverdächtigen alten Namen "Oberschule" bekommen sollten. Jede dieser Oberschulen soll bevorzugt bis zu einem Drittel Kinder mit Gymnasial-Empfehlung aufnehmen können, um die Entstehung von "Restschulen" zu vermeiden. Im 9. und 10. Jahrgang soll es in der Regel Kurse auf verschiedenen Leistungs-Niveaus geben - zur Vorbereitung auf die Oberstufe.
Um dieses Modell gab es kaum politische Kontroversen, weil sich die Schulsenatorin mit der CDU auf ein zehnjähriges Stillhalteabkommen, genannt "Schulfrieden", einigen konnte. Die sechsjährigen Grundschulen fielen diesem Pakt mit der CDU zum Opfer, "schlucken" mussten die Koalitionspartner SPD und Grüne auch die von der CDU eingeforderte "Bestandsgarantie" für existierende Gymnasien, die im Modell der Senatorin eigentlich keinen Platz haben.
In zehn Jahren soll dann Bilanz gezogen werden. Beim ersten Anwahl-Durchgang haben sich die Oberschulen als attraktiv erwiesen. Die Oberschulen sollen Kinder aus weniger bildungsbeflissenen Schichten fördern - entscheidend wird sein, ob sie sich auch als gleichwertiger Weg zum Abitur erweisen. Der Versuch früherer Jahre, durch eine Integration von Haupt- und Realschule die Hauptschüler zu fördern, war nach wenigen Jahren gescheitert.
Die Oberschulen sind zusätzlich und auf massives Drängen der Grünen flächendeckend mit der Aufgabe betraut worden, die Integration entwicklungsgestörter und lernbehinderter Kinder zu realisieren. Der zunehmende Anteil von Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern wird ein weiteres Problem für die neue Schulstruktur werden.
Um diese Herausforderung annehmen zu können, müsste Bildung viel früher ansetzen - in Bremen gehört der vorschulische Bereich aber traditionell zum Sozialressort, das mit "Bildung" eher auf Kriegsfuß steht, als zu kooperieren. So hat die Bildungssenatorin den Hirnforscher Gerhard Roth zum Vortrag darüber geladen, wie sehr die Weichen für die emotionale und kognitive Entwicklung in den ersten drei Lebensjahren gestellt werden. Konsequenzen hatte das nicht.
In den ersten drei Lebensjahren gibt es insbesondere für migrantische Kinder die Chance, deutsch "wie eine Muttersprache" zu lernen. Diese Erkenntnis ist nicht einmal ins Türkische übersetzt worden. Die Ausbildung und Bezahlung der Erzieherinnen ist im Vergleich zu Grundschullehrerinnen so schlecht wie eh und je. Solange die Bildungschancen der ersten Lebensjahre nicht besser genutzt werden, bleibt der Schule die mühsame Aufgabe der Reparatur.
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