ROCKFESTIVALS ODER FUSSBALLSPIELE SIND EINFACH GEFÄHRLICH: Gestörte Feinmotorik
Was haben die Love Parade und das Roskilde Festival gemeinsam? Vielleicht immer mehr. Seit dem desaströsen Unfall mit neun Toten ziehen vor allem jene Berichterstatter Parallelen, die „Jugendkultur“ bei großen Openair-Konzerten oder Events als gefährdet oder gefährlich ansehen. Können wir unsere Kinder einer solchen Gefahr aussetzen?, fragen Talkshow-Moderatoren, oder im Radio-Interview eines Jugendsenders wird ein Gitarrist gebeten, doch mal zu erzählen: „Wie ist das, siehst du von der Bühne aus, wie voll es ist?“
Die Toten waren bei einem typischen Rockkonzert zu beklagen, nicht beim angeblichen Techno-Gehüpfe in Berlin. Das liegt teilweise daran, dass das Techno-Gehüpfe bislang fast ohne Alkohol an den Start ging; hier waren Drogen gefragt, die andere Bewusstseinszustände als das tölpelige Besoffen-Herumschwanken provozieren. Dass sich das langsam ändert, erkennt man am größer werdenden Bierdosen-Müllberg in der Hauptstadt. Wenn man das als Gefahrenfaktor definierte, dann würde er dieses Jahr erheblich steigen.
Die Situation beim Openair-Konzert ist eine andere, spezielle: Eine so genannte Kult-Band spielt als Abschluss eines Abends, das Publikum ist blau und will nach vorne, die Helden anschauen, und vor allem bei den männlichen, gröl- und rempelfreudigen Musikfreunden stimmt die Feinmotorik nicht mehr. Neun Männer sind in Roskilde gestorben, die Beastie Boys ziehen daraus die Lehre, eventuell eine abgesperrte Sicherheitszone für Frauen bei Konzerten einzurichten. Damit auch beim nächsten Mal nur Männer sterben, sozusagen.
Wenn, wie jetzt in einigen Fußballstadien, kein Alkohol mehr ausgeschenkt würde, wäre das wahrscheinlich sinnvoller. Dumm nur, dass in Roskilde der Hauptsponsor eine Bierfirma war. Eigentlich müsste jedem klar sein: Wenn sich Tausende von Menschen treffen, um eng nebeneinander hemmungslos ihr Haar zu schütteln, kann immer etwas passieren. Egal ob Love Parade, Fußballspiel, Tote Hosen oder Pearl Jam. Dass das gerade bei dem Festival mit den besten Sicherheitsvorkehrungen in Europa geschieht, ist zwar tragisch, aber es bleibt ein Unfall. Vorbeugen kann man nur durch persönliche Vorsicht.
Jetzt hat die Festivalleitung also einen Fonds eingerichtet, in den die Gagen von Oasis und den Pet Shop Boys einfließen sollen. Der „Roskilde 2000 Tragedy Fonds“ ist eine nette, hilflose und doch angemessene Geste der Festivalleitung. Merkwürdig nur, dass die britischen Mega-Stars sich zu der Idee, ihre Gagen zu spenden, noch nicht geäußert haben. JENNI ZYLKA
Die Autorin hat das Roskilde-2000-Festival besucht
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