RAF privat: Kaltes Feuer

Susanne Schneiders Filmdebüt "Es kommt der Tag" seziert eine schwierige Mutter-Tochter-Beziehung und greift das schleichende Bashing der 68er-Frauengeneration auf.

Die verlorene Tochter Alice (Katharina Schüttler) wird nicht ruhen, bis der trügerische Frieden restlos zerstört ist. Bild: zorro

Die Drehbuchautorin Susanne Schneider macht schon mit dem Titel ihres Regiedebüts "Es kommt der Tag" deutlich, dass sie eine Geschichte von Schuld und Strafe, Verfolgung und Vergeltung erzählen will. Sie geht von dem fiktiven Fall einer deutschen Ex-Untergrundkämpferin aus, die einst ihre Tochter zur Adoption freigab, um im militanten politischen Kampf mithalten zu können.

Nicht nur diese Tochter hat Judith (Iris Berben) verdrängt, sondern auch ihre mögliche Mitschuld an einem Banküberfall und dem Tod eines Unbeteiligten. Unter falschem Namen tauchte sie in Frankreich unter und baute sich eine neue bürgerliche Existenz in einer elsässischen Weinbauernfamilie auf. In diese rustikale Idylle platzt Alice (Katharina Schüttler) hinein, ein Eindringling voller mühsam zurückgehaltener Hassgefühle. Iris Berben und Katharina Schüttler spielen die eskalierende Konfrontation von Mutter und Tochter mit einem Furor der gegenseitigen Entblößung, der an die antike Kampfkonstellation zwischen Elektra und ihrer verräterischen Mutter erinnert.

Iris Berben ist in einer unerwartet mutigen Charakterstudie entgegen ihrem üblichen Rollen-Image zu sehen. Ihre Judith, die ungeschminkte Landfrau und sozialdemokratisch-grün orientierte Familienmanagerin, wandelt sich im Lauf des Films: Die Frau, die überraschend versiert mit konspirativen Techniken zur Enttarnung der Fremden umgeht, wird zur aufgelöst-zerwühlten Schuldbekennerin.

Katharina Schüttler brennt vom ersten Auftritt an mit kaltem Feuer. Wenn sie das Gut schweigsam observiert, im Gastzimmer die Atmosphäre des Hauses "inhaliert", den Vorrat an leeren Weinflaschen unter Gebrüll im Hof demoliert, dann ist klar, dass die verlorene Tochter Alice nicht ruhen wird, bis der trügerische Frieden restlos zerstört ist.

Unter den Filmen, die sich mit der Wiederkehr des Verdrängten aus der Zeit der RAF beschäftigen, ist Susanne Schneiders Film neben Christian Petzolds "Die innere Sicherheit" und Connie Walthers "Der Schattenmann" der erste, der die Abrechnung der Kinder der RAF-Epoche als radikale Mutter/Tochter-Konfrontation darstellt. In Form eines mit Suspense erzählten Psychodramas greift "Es kommt der Tag" das seit Michel Houellebecqs "Elementarteilchen" schleichende Bashing der 68er-Frauengeneration auf, die aus Gründen der Selbstverwirklichung die Mutterrolle abgelehnt hätten und so für die Depression der vernachlässigten Kinder moralisch verantwortlich seien. Während Iris Berbens Judith-Figur im Film zur politischen Argumentation ausholt und darauf besteht, dass sie sich in ihrer Jugend für Probleme jenseits der Kleinfamilie engagierte, vertritt Katharina Schüttlers Alice radikal den Anspruch eines Kindes auf ein Glück im privaten Nest.

Dieser Grundkonflikt wird in Susanne Schneiders Drehbuch in Widersprüche eingebettet, die von liebevoll gezeichneten Nebenfiguren ausgehen. Judiths jüngere Tochter Francine (Sophie-Charlotte Kaissling-Dopff) zieht sich als trotzige Weltschmerzpubertistin zurück, der Sohn Lucas (Sebastian Urzendowsky) verteidigt seine neue Schwester Alice, der Ehemann Jean Marc (Jacques Frantz) fühlt sich angesichts der verheimlichten Vorgeschichte seiner Frau hintergangen.

Immer dann, wenn die Standpunkte aufeinanderprallen und die Dialoge mit Unaussprechlichem aufgeladen sind, zeigt "Es kommt der Tag" seine Kinoqualität. So entwickelt sich ein Essen mit Jean-Marcs elsässischen Eltern, in dem ein Familienkredit verhandelt werden soll, mit Alice provozierendem Auftritt zum skurrilen Tableau.

Leider unterschlägt "Es kommt der Tag" die Vorgeschichte von Alice. Welche Erfahrungen sie dazu veranlassten, ein Dossier über ihre leibliche Mutter anzulegen, ihre Spur aufzunehmen und sie schließlich zu stellen, bleibt im Dunkeln. Die Fallhöhe in Susanne Schneiders Film entsteht nicht aus dem Dissens zwischen einer politischen Mütter- und einer unpolitischen Töchtergeneration, sondern aus der obsessiven Suche nach der wahren leiblichen Mutter. Erlösung scheint in diesem Drehbuch erst möglich, wenn die Mutter ihre Schuld angenommen hat. Anders als in der Geschichte der RAF vollzieht sich der "Tag der Wahrheit" ohne Schüsse, läuft vielleicht alles auf die Wunschformel des Zeitgeistes hinaus: auf eine Art therapeutischen Konsens.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.