RAF-Debatte: Bundesanwälte gegen Schäuble
Die Verfassungsschutzakten von Verena Becker bleiben nach dem Willen des Innenministeriums weiterhin gesperrt. Die Bundesanwaltschaft ist enttäuscht.
Die Bundesanwaltschaft kritisiert Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. "Es bringt uns nicht wirklich weiter, wenn wir Akten, die wir schon kennen, noch einmal prüfen dürfen", sagte gestern ein Sprecher zur taz. Die Ankläger wollen die Verfassungsschutzakten von Verena Becker im Gerichtsverfahren gegen die Ex-RAFlerin verwenden, was Schäuble aber weiterhin blockiert.
Verena Becker hatte in der Haft Ende 1981 Kontakt zum Verfassungsschutz aufgenommen und Anfang 1982 ausführliche Aussagen über die RAF gemacht. Hierüber gibt es Quelleninformationen mit 227 Seiten Umfang und einen Auswerterbericht von 82 Seiten. Zumindest am Rande geht es dabei auch um die Frage, wer 1977 an der Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback beteiligt war.
Inzwischen sitzt Verena Becker in U-Haft, weil neue DNA-Untersuchungen belegen, dass sie zumindest die Bekennerschreiben zum Buback-Mord verschickt hat. Die Bundesanwaltschaft hat deshalb letzte Woche zum zweiten Mal die Herausgabe der Becker-Akten beantragt. Ein erster Antrag 2007 führte Anfang 2008 zur offiziellen Sperrung der Akten durch Schäuble.
Nun war allgemein erwartet worden, dass Schäuble die Sperrung der Informationen zumindest insoweit aufhebt, als es um den Mordfall Buback geht. Sogar CDU-Politiker hatten ihn dazu aufgefordert. Umso größer war die Enttäuschung, als Schäuble am Dienstagabend verkündete, es sei "derzeit nicht notwendig, die Sperrerklärung aufzuheben". Schäuble erinnerte an die "bei der Gewinnung und Führung von Quellen unerlässliche Vertraulichkeit".
Schäuble machte dabei nur kleinere Zugeständnisse. Die Quelleninformationen und der Auswerterbericht werden der Bundesanwaltschaft zur Durchsicht übersandt. Weitere Akten können die Bundesanwälte beim Verfassungsschutz "einsehen und sichten". Wenn sich daraus neue Ermittlungsansätze ergeben, könne die Bundesanwaltschaft erneut die Entsperrung der Akten beantragen. Das stellt die Bundesanwälte aber nicht zufrieden. Denn die Quellensammlung haben sie 2007 bereits einsehen können, und der Auswerterbericht liegt ihnen sogar in Kopie vor. "Für uns geht es darum, eventuelle Erkenntnisse auch vor Gericht verwenden zu können", sagte der BAW-Sprecher. Neue Erkenntnisse könnten sich aber aus den zusätzlichen Verfassungsschutzakten ergeben, die Schäuble offeriert. Möglicherweise geht es dort um spätere Aussagen Beckers, die etwa zwei Jahre lang mit dem Geheimdienst kooperiert haben soll, bis sie sich ihren RAF-Genossen offenbarte.
Für die Bundesanwälte ist relevant, ob sich aus den Akten eine Tatbeteiligung Beckers am Buback-Mord ergibt. "Wie war sie in das Kommando eingebunden, hatte sie Täterwissen?", das sind aus Sicht der Ankläger die entscheidenden Fragen. Nachdem jetzt dringender Tatverdacht gegen Becker bestehe, sei die Freigabe der Akten deutlich dringlicher als 2007. Rainer Griesbaum, der stellvertretende Generalbundesanwalt, geht davon aus, dass die Indizien aber schon jetzt für eine Anklage gegen Becker ausreichen, sagte er dem Deutschlandfunk.
Michael Buback, der Sohn des Opfers, kritisierte die weitere Sperrung als "bedrückend und auch verwunderlich". Er darf die übersandten Akten nicht einsehen.
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