Quietschen im Niemandsland

■ Benjamin Geisslers Dokumentarfilm über ein vergessenes Sizilien

Die Schlagworte, die einem zu Sizilien einfallen, sind nicht sehr zahlreich: Mafia natürlich, Urlaub und vielleicht noch Barock. In seinem Dokumentarfilm Vincenzo Floridia, oder die letzte Rose von Noto eröffnet Benjamin Geissler einen ganz anderen Blick auf die sizilianische Gesellschaft.

Fernab von touristischen oder folkloristischen Klischees, führt er die Zuschauer direkt in die Welt einer jungen Generation Sizilianer, die wegen Arbeitssuche viele Jahre in Norditalien oder im Ausland verbracht haben, schließlich aber doch in die sizilianische Heimat zurückgekehrt sind. Mit einer seltsamen Ruhe ergeben sie sich nun der Hoffnungslosigkeit der sizilianischen Gegenwart, fernab der Metropolen der übrigen Welt und unbeachtet am Rand eines zusammenwachsenden Europas. Die Unmöglichkeit auch nach Jahren der Fremde, die eigenen Wurzeln gänzlich zu verlassen, und die kontinentale Politik bilden die Leitmotive des Films.

Vinzenzo ist Lokführer, tagtäglich bedient er mit seinem Triebwagen die Strecke zwischen Syrakus und Noto. Karge Steinlandschaften, geprägt von Olivenbäumen, Zitronenplantagen, Kaktusfeigen und dem Meer, die ständigen Geräusche des Schienenverkehrs und der Blick auf die Rückseite der Städte sind sein Arbeitsumfeld. Von dieser Kulisse aus öffnet sich der Film zu einem Gesellschaftsportrait des heutigen Sizilien. Der Zuckerbäcker, der Rangierer, der Fotograf und die vielen Kollegen, denen der Zuschauer auf seinen Fahrten immer wieder begegnet, veranschaulichen das Reibungsverhältnis zwischen vitaler Lebensfreude auf der einen und einer nüchternen Realität auf der anderen Seite. Politisch und wirtschaftlich bedeutungslos, scheint Sizilien ganz zu einem beziehungslosen Niemandsland zu werden.

Mit der Automatisierung der Bahnstrecke wird die alte Handschranke, deren quietschende Ankündigung eines nahenden Zuges sich immer wiederkehrend durch den Film zieht, durch eine zentral gesteuerte ersetzt. Und mit der letzten Rose des Bahnhofsvorplatzes, die der Bahnhofsvorsteher Vincenzo überreicht, scheint auch eine Epoche malerischer Vergessenheit zu verschwinden.

Steffen Kugler heute, 19 Uhr, Metropolis