: Quicklebendige Bakterien
■ Diphterie kehrt zurück - wenn man Impfungen nicht auffrischt / Hafenarzt warnt
Morgens kommen die PatientInnen mit Halsschmerzen und Atemnot in die Klinik, mittags machen die ÄrztInnen einen Luftröhrenschnitt, abends sind die Kranken schon tot. Das ist zum Glück nur eine Anekdote aus einer fernen Zeit. Aus der Zeit, als jedes Jahr Tausende von Kindern an Diphterie starben,gegen Ende des letzten Krieges. Seitdem werden die Kinder in Europa serienmäßig gegen Diphterie geimpft, und 1992 erkrankte nur noch ein Mensch in Deutschland daran – die Krankheit schien endlich ausgerottet.
Doch 1993 wurden schon wieder acht Diphteriekranke gezählt, diesmal nur Erwachsene. Erst im Februar starb in Hannover ein Mensch an Diphterie, berichtet der Bremer Hafenarzt Alfons Nettesheim. Das ist natürlich kein Vergleich mit der Situation in Rußland. Dort wurden 1993 rund 13.000 Diphteriekranke gemeldet – man kann schon von einer Epidemie sprechen.
Ursache ist hier wie dort die sogenannte Immunitätslücke. Nach den Impfungen im Kindesalter vergißt der Körper allmählich, die Schutzstoffe weiter zu produzieren; dann ist eine Erinnerung notwendig, eine Auffrischungsimpfung, gegen Diphterie am besten im Alter von elf Jahren. Doch weil die Krankheit vermeintlich ausgerottet ist, unterbleibt mittlerweile oft die Auffrischungsimpfung. Eine stichprobenartige Analyse des Impfstatus von Bremer SechstklässlerInnen ergab laut Alfons Nettesheim: Nur 64 Prozent waren ihrem Alter entsprechend geimpft.
Die „Herdimmunität“ müßte eigentlich 90 Prozent betragen. 90 Prozent reichen, denn der Erreger braucht ein größeres Ansteckungsklientel als zehn Prozent, um „springen“ zu können, sich also epidemisch auszubreiten. Bei einer Herdimmunität von 90 Prozent können sich nur einzelne Nicht-Geschützte anstecken.
Anschaulicher ausgedrückt: Wenn zehn Nicht-Geschützte mit einem hustenden Diphteriekranken im Zugabteil sitzen, wird etwa ein Passagier angesteckt. Diptherie wird per Tröpfcheninfektion übertragen, also vor allem durch Anhusten oder Anniesen. In St. Petersburg konnte sich die Diphterie auch deshalb besonders gut ausbreiten, weil die Menschen außerdem noch in ihrer Abwehr geschwächt sind – zum Beispiel durch mangelhafte Ernährung.
Zwar gibt es ein Gegengift, doch das nützt nicht mehr viel, wenn aus der Halsentzündung zum Beispiel eine Herzmuskelentzündung geworden ist. Und soweit kann es leicht kommen, da die ersten Symptome gern mit einer Grippe verwechselt werden.
Dennoch braucht niemand in Panik auszubrechen, höchstens in Sorge, findet der Hafenarzt Nettesheim. Er rät, einfach beim nächsten Besuch bei der Hausärztin oder dem Hausarzt um eine Impfung bitten. Am besten gegen Diphterie und Tetanus (Wundstarrkrampf) und Kinderlähmung. Auch gegen diese Krankheiten sind die meisten Erwachsenen nicht mehr ausreichend immunisiert. Faustregel: alle zehn Jahre sollte der Impfschutz aufgefrischt werden. Die Impfung zahlt die Krankenkasse. Impfpaß nicht vergessen, der liegt vielleicht noch bei Muttern im Schrank. cis
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