■ Querspalte: Fonty-City
Neuruppin in Brandenburg ist Kreisstadt. Das hat Vorteile. Eine Menge gutbezahlter Beamter wohnt im Umfeld und steigert die Kreisstadtkonjunktur. Auch die Justiz residiert in Neuruppin. Der Leitende Oberstaatsanwalt gibt Pressekonferenzen, wenn im Kreis mal wieder Punks verprügelt oder ein Zeltplatz verwüstet werden. Anschließend sitzen dann fremde Journalisten im Gasthaus und diskutieren. Doch mit knappen Reporterspesen allein läßt sich kein Aufschwung- Neuruppin machen. Touristen statt Journalisten, heißt deshalb die Devise. Doch wie lockt man Reisende nach Brandenburg? Meilenweit entfernt ist jede attraktive Küste, hohe Berge gibt es auch nicht. Ein kümmerlicher Werbeslogan: Kein Hang, Kein Strand / Nur Märkischer Sand. So besinnt man sich auf die Kultur. Theodor Fontane, seines Zeichen Apotheker, Journalist und Klassiker, erblickte 1819 in Neuruppin das Licht der Welt. Mit dem berühmten Sohn läßt sich prima Reklame machen. „Fontane-Stadt Neuruppin“ will man in Zukunft heißen. Ortseingangsschilder, Poststempel und Gullydeckel müßten wohl erneuert werden, aber diese Kosten sind eine Investition. Der Stadtname soll zum Label werden. Erleben Sie Dichter und Denker in Fonty-City! Deutsche Kultur vergangener Jahrhunderte soll Wessis und Japaner ködern. Mark und Yen würden freilich für eine Mogelpackung ausgegeben. In Neuruppin schrieb Fontane nur Schulaufsätze, keine Romane. Den Dichter zog es bereits im Knabenalter nach Berlin.
Was soll's: Ein Schickimicki-Dorf an der Isar verkauft sich als „Weltstadt mit Herz“. In Leipzig erfand man gar den protzigen Doppeltitel. Seit 1989 ist die „Messestadt“ auch noch „Heldenstadt“. Und Castrop-Rauxel nennt sich aus unerfindlichen Gründen „Europastadt“. Manchmal weisen die Angeberattribute in Wahrheit auf Defizite hin. Robin Alexander
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen