■ Querspalte: Deutschland bizarr
Schöne Aussichten fürs Wochenende. In hessischen Fußgängerzonen erbetteln CDUler im naßkalten Schneematsch Protest-Unterschriften, während in kurdischen Teestuben über Verfassungstreue diskutiert wird. Deutschland bizarr, und schuld ist nur das „StAErwerbErlG“. Die Abkürzung steht für das „Gesetz zur Erleichterung des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit“, das die rot-grüne Regierung plant. In der Presse einfach „Doppelpaß“ genannt. Ausgerechnet der undeutscheste aller Spielzüge auf dem Fußballfeld ist Synonym für die große Einbürgerung. Das bisherige Recht – wer kein deutsches Blut in den Adern hat, stolpert im Verfahren – kam ohne Allegorie aus dem Stadion aus. „Blutgrätsche“ böte sich an. „Weiter Blutgrätsche statt Doppelpaß“, ein toller Slogan für die Fußgängerzonen- Union.
Der konservative Widerstand gegen den Doppelpaß ist motiviert durch die Sorge um die kulturelle Identität Deutschlands. Aber was macht das Deutschtum überhaupt aus? Fleiß, Auto, Deutschmark? Der Durchschnitts-Deutschgeborene faulenzt dreimal im Jahr auf Mallorca, hat eine Ökosteuer-Regierung gewählt und freut sich auch noch auf den Euro. Sein deutschtürkischer Nachbar schuftet hingegen für ein Häuschen, schätzt aufgemotzte BMWs und beklebt an seinem Hochzeitstag die Braut mit D-Mark-Scheinen! Wissen Sie, wie Cerkan aus Gelsenkirchen/Almanya im Urlaub am Bosporus gerufen wird? „Almanci“, frei übersetzt: Deutschländer-Würstchen.
Der Weg vom Os- zum Germanen ist also kurz. Die Sorge der Union ums Staatsvolk unbegründet. Und wir, die wir schon unter Deutschen genug leiden, müssen uns bald mit noch mehr Spießern herumärgern. Warum wollen eigentlich nie lässige Menschen in dieses Land einwandern? Will denn keine hübsche Dänin deutsche Papiere? Reggae-Boys aller Länder, laßt Euch einbürgern! Macht das „StAErwerbErlG“ vom Doppelpaß zum Doppelspaß! Robin Alexander
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