■ Querspalte: Nach dem Profil, vor dem Profil
Die freie Marktwirtschaft ist prima. Überall kann man wählen. „Egal, ob es um den Wunschfilm des Wochenendes geht, das Tor des Monats, oder ob Sie einen Super-Saalkandidaten wählen. Ihre Stimme zählt. Soviel Mitbestimmung dürfte Ihnen doch wohl einen Anruf wert sein“, verkündet die Telekom. Da jubelt der Verbraucher, wählt freudig und schaut sich dann im Fernseh an, wie Politiker als kleine Fernsehmännchen „Profil“ zu zeigen versuchen. Denn Politiker wissen: Nach der Wahl ist vor der Wahl und der selbstbewußte Politikverbraucher ein launisches Wesen, das Unterschiede zu schätzen weiß. Deshalb erklären alle und vor allem die SPD etwa 5.743mal, jetzt gehe es darum, „das Profil zu schärfen“.
Doch alles ist kompliziert: Die drohenden Kommunistinnen wirken verständig. Die SPD will sowieso mit der CDU. Die FDP, die ein „Vollzugsdefizit im Umsetzen guter Ideen“ beklagt, gibt es ja gar nicht mehr. Und genausowenig wie die FDP gibt es die Ware Politik, wenn nach der Wahl vor der Wahl ist und sich die Selbstdarstellung von Politik darauf beschränkt, zu sagen, man müsse die Selbstdarstellung verbessern. Das Profil zu schärfen ist da ganz und gar nicht einfach; gerade für die SPD, deren stellvertretender Fraktionsvorsitzender Rudolf Dreßler inzwischen selber erklärt, daß die „Wirklichkeit“, die sie angeblich mit gestalten, von den Parteien „nicht mehr erfaßt“ werde. Klasse!
Ein paar Möglichkeiten gäbe des dennoch: Sämtliche Politiker durch „Kommunikationsdesigner“ ersetzen oder PDSler erschießen, um die „stark ausgeprägte persönliche Eigenart“ (= Profil) deutlicher werden zu lassen. Die SPD könnte sich auch ein Beispiel nehmen an den PR-Strategien des FC St. Pauli, dessen feldwebelmäßiger Trainer seinen in sich gekehrten Torwart dazu brachte, ständig den Affen zu machen. Inzwischen ballt Thomforde ständig die Faust und sagt, ihm würde „einer abgehen“, wenn er im Torraum so herumfliegt. Dafür wird er von Sat.1 und Bild als echter Junge aus dem Kiez verehrt. Detlef Kuhlbrodt
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