■ Querspalte: "Bild" tut-tut was
Zum Jahresbeginn ruft Bild den nationalen Notstand aus. Der Berliner Zoo wird nicht mehr für nur 1.500 DM im Monat telefonische Futterbestellungen aufgeben können. Edith G. (72) aus Tegel muß ihre Dauerschwätzchen kappen, um 180 Mark Telefongebühren nicht zu überschreiten. Und „morgens Papa anrufen“, kostet ab 1. Januar doppelt so viel. Bild will der Telekom wegen der neuen Gebühren „gewaltig was tuuuten“. In millionenfacher Auflage kursiert das Bild-Protestschreiben an die Generaldirektion der rosa-grauen Abzocker: unterschreiben und abschicken.
Und schon geht den PR-Gauklern von der Telekom („Damit telefonieren gerechter wird“) der Hintern auf Grundeis. Die Dienstleister mit den „Halsabschneidermethoden“ (Bild) befinden sich bereits auf Teilrückzug. Welch Glück, daß es die Gebührenkontrollzentrale von Springer mit der Lautsprecherschrift gibt. Von wegen billiger Populismus gegen den gierigen Konzern, der vor dem Gang an die Börse noch mal kräftig hinlangt. Ach, i wo! Überall, wo es Wucherer in Monopolstellung wagen sollten, armen Verbrauchern die Taschen zu leeren, müssen sie demnächst mit Bild rechnen. Ob sie Bundesbahn oder BVG oder Microsoft heißen. Bild bewacht die Preise. Inflation – ein Schreckgespenst von gestern. Wozu brauchen wir noch eine Bundesbank, die sich um Preisstabilität kümmert? Wer in Zukunft Lebenskosten in die Höhe treibt, darf sich auf eine Bild-Kampagne gefaßt machen: Volkes Zorn in griffige Parolen kleiden, Unterschriftencoupons drucken, Image ramponieren.
Da bricht bei den Beutelabschneidern das große Schlottern aus. Tut-tut-Minister Bötsch hört's schon läuten. Ein selbstloser Anwalt der Massen erhebt seine klare Stimme. Einige haben's gewiß erkannt: Der Geist von Schinderhannes weilt wieder unter uns. Nicht mehr in den Wäldern des Hunsrück mit dem Vorderlader kämpft er, sondern in den Redaktionsstuben von Bild mit Balkenlettern. Für uns kleine Leute. Bild tut-tut was. Thomas Worm
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