■ Querspalte: Himmel und Hölle
Bis gestern war die Welt noch einfach und überschaubar wie eine Schichtentorte. Oben thronte Gottvater und strich sich gelegentlich seinen weißen Bart; hier auf Erden stolperte unsereins durchs Leben, sündigte ein bißchen und fürchtete ein bißchen die Folgen seines Tuns. Und dort unten, zehn Klafter unter unseren Schuhsohlen, loderte das ewige Feuer.
Wer nicht gesündigt hatte auf Erden, wer also bibelfest den Armen genommen und damit reich geworden war, wer noch ein paar fromme Werke getan, kam nach seinem selig Ende stracks in den Himmel. Gottvater strich sich seinen weißen Bart und wies jedem neuen Schäfchen eine Häftlingsnummer zu, die zu lebenslänglich Manna berechtigte. Wer aber gefehlt hatte auf Erden, den Papst einen Heuchler und seine Mönche beim rechten Namen genannt hatte, Kuttenbrunzer oder erzkatholisches Weinfaß, der ward ins ewige Feuer der Hölle gestoßen.
Plötzlich soll es damit vorbei sein. Die Kirche von England hat bei ihrer Generalsynode in York die Hölle kaltgemacht. Die Qualen der armen Sünder – gibt es nicht. Hitze, bocksbeinige Teufel – eine Ausgeburt der Hölle. Gott sei ihnen als „sadistisches Monster“ vorgestellt worden, klagen die Synodalen, und das habe bei den Gläubigen „quälende Narben“ hinterlassen. Ach, Gott. Fast möchte einen die Rührung ankommen bei soviel nachgetragener Fürsorglichkeit. Da haben sie uns die Hölle jahrtausendelang in den greulichsten Farben heißgemacht, glühende Zangen und siedend Öl angedroht für die kleinste Widersetzlichkeit, und mit einemmal sollen diese Anschläge auf die Menschenwürde nurmehr am hellichten Tag stattfinden dürfen. Der Teufel wird auf Erden freigesetzt, darf die Sau rauslassen in einem der 150 laufenden Kriege oder wo sonst in Gottes Namen die Obrigkeit zuschlägt.
Das ist die tröstliche Botschaft von York: Auch wenn die Schichtentorte – ER da oben, wir hier unten – einzubrechen drohte, ist längst nicht aller Tage Abend. In der Hölle brennt noch Licht. Willi Winkler
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