■ Querspalte: Wo die Liebe hinfällt
Liebeswahlen sind oft sehr, sehr seltsam. Die Arzthelferin Nicola Fleuchaus beispielsweise, 25 Jahre jung, wurde vor zweieinhalb Monaten in Costa Rica entführt. Zehn Wochen verbrachte sie als Geisel im Dschungel. Ihr Kidnapper hieß Vega Rojas, Spitzname „Julio, der Verrückte“. Gegen ein Lösegeld von angeblich 200.000 US-Dollar kam sie dann schließlich unter großer Anteilnahme der deutschen Presse wieder frei.
Auf einem Foto, das ihre Geiselkollegin Regula Susanna Siegfried, 52 Jahre jung, machte und an alle möglichen Medien verkaufte, herzte und küßte die Arzthelferin heiß ihren Entführer zum Abschied. Das Geiseldrama erscheint nun in einem ganz anderen Licht. Ein Behördensprecher des mittelamerikanischen Staates sieht in den sehr anrührenden Fotos den Beweis „für eine gefühlsmäßige Beziehung zwischen Rojas und der Deutschen“ und „bezweifelt“, ob sie denn ganz wirklich entführt wurde. Weiß der Mann denn nicht, daß die Liebe hinfällt, wo sie halt hinfällt?
Sehr viel verwunderlicher als die Zuneigung, die Nicola Fleuchaus ihrem nachdenklich-melancholisch dreinblickenden Entführer entgegenbrachte, scheinen mir ganz andere Formen der Liebeswahl zu sein. In der jüngsten Ausgabe des Hamburger Zeit-Magazin zum Beispiel teilte eine Kollegin der interessierten Öffentlichkeit mit, daß sie neulich mit dem berühmten russischen Dichter Viktor Jerofejew vor Stalingrad geschlafen hatte. Besonders hob sie hervor, daß ihr Großvater vor Stalingrad gelegen hatte, während der Großvater des Dichters die Stadt verteidigt hatte. Denkt man da nicht unwillkürlich: „Wie pikant!“?
Graziöser fand ich die Geschichte, die mir ein entfernter Bekannter neulich eher nebenbei erzählte. Letzte Woche in Tunesien habe er also den besten Sex seines Lebens gehabt. Während seine Eltern auf den Hintersitzen des Wagens schliefen, habe er dem charmanten Taxifahrer einen geblasen. Das erzählte er sozusagen gesprächseinleitend. So indiskret sind hier die Menschen. Detlef Kuhlbrodt
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