■ Querspalte: Politik ist Zauberei
Neulich trat der Kanzler im Werbeblock auf, gleich nach dem Spot mit der Liposomencreme gegen ozongeschädigte Haut und kurz vor der „Tagesschau“. On camera telefonierte er gerade mit VW, 100.000 Beschäftigte. Er hatte seine Brille abgesetzt, das wirkt menschlicher. „Ja, also zehn Lehrstellen mehr, vielen Dank.“ Der Kanzler legte auf und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn. Dann klingelte er bei Siemens durch. Bei seinen Unternehmerfreunden setzt sich der Kanzler dafür ein, daß unsere Jugend nicht auf der Straße vergammelt. Das hat er schließlich versprochen.
Wenn du den Kanzler wählst, a) „wird es keinem schlechter gehen“, b) „gibt es keine steuerlichen Verschlechterungen für die Bürger“, c) „für jeden eine Lehrstelle“. Und wenn du der Kanzlerrunde Anfang dieses Jahres glaubst, dann gibt es „im Jahr 2000 nur noch halb so viele Arbeitslose wie jetzt“. Das war doch ein Versprechen, dagegen ist das Sparpaket glatter Fliegenschiß.
Doch jetzt das. Da kommt der halbgebildete, phantasielose Gesamtmetall- Chef Werner Stumpfe und rauscht mit dem Satz über die Agenturen, daß aus dem nach der Kanzlerrunde gegebenen Versprechen – halbierte Arbeitslosenzahl – nichts wird. Im Gegenteil: Alle müßten sich wärmer anziehen. Stumpfe hat nicht den Brockhaus gelesen, jedenfalls nicht den von 1898.
„Versprechen oder Besprechen“ sind laut Brockhaus „eine mit der Magie verwandte Art von abergläubischen Handlungen, die in Anwendung gebracht werden, um die Fortdauer nachträglich wirkender oder gefahrdrohender Zustände aufzuhalten. So werden namentlich besprochen Krankheiten, Wunden, fließendes Blut“, ...Arbeitslosigkeit, Lehrstellenmangel...! Da können die Sozis mit ihrem neuen Gesetzesantrag gegen Wunderheiler noch so heftig wedeln (Lafontaine: „Alles nur leere Versprechungen“), Politik ist mystisch wie die Kindheit. Von wegen Arbeitslosigkeit. Im Jahr 2000 machen wir endlich Gold aus Pipi. Versprochen. Barbara Dribbusch
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