■ Querspalte: Blühe, deutscher Kanzler
Alfred Franz Maria Biolek hat es geschafft. Eben noch formte er mit längst herausgewunkenen Gestalten wie Maria und Margot Hellwig spröde Spinatknödel an Palatschinken, macht er sich nun mit den wahrhaft Mächtigen gemein: Der Bundeskanzler höchstselbst betritt heute die Bühne von „Boulevard Bio“. Welch Ereignis, ja, was für eine Sensation! Zwar besuchte Kohl schon zweimal Hans Meiser, aber das war nicht live, zählt also nicht wirklich.
„Ich erwarte ein offenes, spritziges Gespräch“, freut sich bereits seit Wochen der Kammersänger, ARD-Moderator und Gong-Leser Günter Wewel, der entweder noch nie eine Sendung mit Bio gesehen hat oder aber mit „spritzig“ tatsächlich den Speichel meint, der bei Biolek in ähnlichen Strömen wie das Mineralwasser fließt. Denn, lieber Herr Wewel im „Kein schöner Land“, mal ganz ehrlich: Zu erwarten steht keine TV-Schonkost, sondern eine extra große Portion schwer verdaulichen Bio-Schleims, wie sie der Kölner Westenfetischist selbst weniger prominenten Gästen rituell zu verabreichen pflegt.
Das möge nicht als Beleidigung mißverstanden werden, denn Bio sieht das selbst genauso: „Eigentlich ist mein Ziel, daß jeder gut aussieht, ob das ein contergangeschädigter, unbekannter Mann von der Straße oder ein Kanzler ist“, sagt der Chefkoch vom WDR, auch wenn dieser Vergleich dem Kanzler kaum schmecken dürfte.
Doch Bio entschärft sogleich: Der deutsche Kanzler soll blühen, läßt er uns wissen, und dafür reicht es nicht, wenn ihn ein paar kurzgeschorene Wasserträger gießen. Da braucht es mehr – mindestens nämlich die komplette Stunde, damit der Kohl im Biotop gedeiht.
„Blühe, du deutscher Kanzler“, rufen jetzt auch wir anderen Menschen, die wir eigentlich egal sind, wenn Kohl erst den seinigen herausläßt. Denn so wird es sein. Und nur in der ersten Reihe brennt noch Licht. Dort knuspert Hannelore Kohl ihre selbstgemachten Chips und lacht sich ins fettige Fäustchen. Oliver Gehrs
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