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■ QuerspalteSonntags Milch klaufen

„Klau mich!“ hieß in den Sechzigern ein Buch von Fritz Teufel, das zum Programm wurde: Die obszön sich darbietende Warenwelt der „Selbstbedienung“ beim Wort zu nehmen, den Klassenkampf durch Diebstahl zu führen, dem System mit List und Tücke soziale Gerechtigkeit abzutrotzen. In unseren WGs war es üblich, beim Großeinkauf den Mengenrabatt gleich in Naturalien mitgehen zu lassen – natürlich nur im Supermarkt und nicht beim Krauter an der Ecke.

Will sagen: Es gab so etwas wie eine Ethik des Diebstahls. Man entriß Karstadt einen Paprikastreuer für die Gemeinschaftsküche und fühlte sich wie Robin Hood. Aber die Zeiten ändern sich, und so wie die revolutionäre Rockmusik von einst heute in den Konsumtempeln dudelt, ist der revolutionäre Einklauf von damals zur staatstragenden Unmoral geworden. Der Ladendieb von heute, so haben jüngste Umfragen gezeigt, hat Abitur, ist selbständig und wählt FDP.

24 Prozent der FDP-Anhänger bekennen sich zum gelegentlichen Ladendiebstahl, während es bei den Grünen 16 Prozent, bei der SPD zehn Prozent und bei der CDU nur acht Prozent sind. Letzteres mag daran liegen, daß Christen nur im Beichtstuhl und nicht beim Demoskopen beichten. Die hohe FDP-Quote indessen wirft ein bezeichnendes Licht auf die Debatte um den Ladenschluß: Die frischgefönten Westerwelles wollen eben auch sonntags irgendwo Milch klauen.

In der Standortdebatte enthüllt die Umfrage ebenso einiges: Angestellte und Arbeiter gehören mit elf und zwölf Prozent Ladendieben zu den Ehrlichen im Lande, von den Beamten dagegen klauen 16, von den Selbständigen sogar 18 Prozent. Die Leistungsträger jammern über zu hohe Lohnnebenkosten, greifen aber zugleich alles ab, was nicht niet- und nagelfest ist – wen wundert noch, daß der Standort Deutschland unattraktiv ist?

Die geistig-moralische Wende, die Papa Kohl uns brachte, hat immerhin die Dienstboten entlastet: Früher war der Mörder immer der Gärtner, heute ist der Dieb meist der Chef. Mathias Bröckers

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