■ Querspalte: Geistig- moralische Niederung
Es gibt große Geschwister, Rita Süssmuth. Und es gibt Gertrud Höhler, gerade zur „Frau des Jahres 1996“ ernannt. Gemeinsam ist ihnen, daß ignorante Mütter sie dem gleichermaßen von Ehrgeiz wie Zukunftslosigkeit gebeutelten Nachwuchs ständig als Vorbilder hinstellen. Einzigartig an Gertrud Höhler wiederum ist, daß sie – polymorph multifunktional – bei wirklich jeder noch so unpassenden Gelegenheit zitiert wird: von Wirrköpfen etwa, die unter dem Banner „mit Kant und Kafka in die Wirtschaft“ GeisteswissenschaftsstudentInnen einreden, sie hätten als UnternehmensberaterInnen eine Chance. Oder von JournalistInnen, die immer noch an die geistig-moralische Kohl-Wende glauben, nach der irgendwie alle erfolgreiche Jungmanager inklusive treusorgende Partnerschaft plus christlich-arbeitsethisches Gewissen sein dürfen. Oder denen, unendlich an der Zahl, die weibliche Emanzipation mit „verdient Geld und sieht gut aus dabei“ verwechseln. Das verdanken wir Gertrud Höhler. Sie hat alle verdorben und betört. Aus evangelischem, rheinischem Pfarradel, reüssierte die mittlerweile 56jährige bereits als Lyrikerin, Germanistikprofessorin, alleinerziehende Mutter, Fernsehmoderatorin und Talkrunden-Talkerin, CDU-Kuschelkandidatin in spe für Ministerposten, Unternehmensberaterin und Werbemodel – mit Sohn Abel, der leider eine fliehende Stirn hat und Zweifel an Gertruds Geschmack nahelegt, was ihre Liebhaber angeht. Verhärmte Neider stürzten sich auf ihre Bücher, die da hießen „Spielregeln für Sieger“ oder „Wettspiele der Macht“, und fanden Trost. Dummbratzig und sozialdarwinistisch kamen in den dickdeckeligen, zu Wälzern aufgeblasenen Gesinnungsaufsätzen gute Tips für BWL-StudentInnen daher wie Weltweisheiten.
„Aufgrund ihrer Veröffentlichungen zur aktuellen Wertediskussion“, behauptet der Deutsche Staatsbürgerinnen-Verband, habe es Gertrud H. verdient zur „Frau des Jahres 1996“ gekürt zu werden. Und auch davor wird wieder irgendwer der Hut ziehen. Ulrike Winkelmann
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen