■ Querspalte: Bibeln im Untergrund
U-Bahnfahrer in München hatten es schon immer besser: Sie wurden bereits vor Jahren mit einer Schutzmacht gesegnet, die für Ruhe in den U-Bahnhöfen sorgt: die Schwarzen Sheriffs – kurz SS. Lange hat es dagegen gedauert, bis paramilitärische Einheiten auch die unterirdischen Exerzierfelder Hamburgs oder Berlins eroberten.
Seit neuestem ist in München nun auch das Seelenheil der U-Bahnfahrer geschützt. „U-Bahn-Gebete“ heißt ein kleines Büchlein, das im Münchner Untergrund ausliegt. Pfarrer Heinz Summerer hatte die göttliche Eingebung, es zu schreiben. Er habe in der U-Bahn immer so gut mit Gott kommunizieren können, wegen – den Schwarzen Sheriffs sei Dank! – der Ruhe. Fans der Reihe „Das Wort zum Sonntag“ – in der lockere Prediger dem lieben Gott regelmäßig eine Sonnenbrille aufsetzen, ihn zum Fußballfan erklären oder ihm alte Turnschuhe anziehen – erahnen sicherlich schon den Inhalt der „U-Bahn-Gebete“: Sonnenbebrillte U-Bahnkontrolleure sind ebenso Thema des Büchleins wie Fußballfans oder Turnschuhe tragende Kinder, die an Haltestangen herumklettern. Denn alle Münchner U-Bahnfahrer fahren mit der U-Bahn, die durch die tiefen, dunklen Tunnel des Lebens rast, und sie alle sind beseelt vom heiligen Geist. Alle, sogar die Schwarzen Sheriffs.
Ja, wie gesagt, U-Bahnfahrer in München hatten es schon immer besser. Zwar wissen wir genau, daß wir unseres Nächsten Gebetbuch nicht begehren sollen; daß Neid eine Untugend ist – und mithin eine Sünde. Doch singen wir: Wie lange müssen die anderen bundesdeutschen U-Bahnnetze darben / bis auch sie sie haben / Heinz Summerers Gaben?
Und überhaupt: Warum nur die U-Bahnnetze? Setzt den Spiritus Sanctus wieder frei – ersetzt den geistlosen Bundesbahn-Fahrplan, der auf jedem InterCity-Sitzplatz ausliegt, durch die „DB-Gebete“. „WC-Gebete“ auf öffentlichen Pissoirs statt Klosprüche! Schwimmregeln zu Plansch-Psalmen. Halleluja! Björn Blaschke
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