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■ QuerspalteDas rote Band

„Guten Tag, die Fahrkarten bitte.“ Ich sitze im Intercity und bitte den Schaffner um einen Zuschlag. Da! Der Bahner greift zu dem länglichen Gerät, das an seiner Hüfte baumelt. Ein grauer Kasten, der aussieht, als sei er eine Weltraumwaffe aus „Raumschiff Enterprise“ oder „Raumfähre Orion“.

Wie immer bin ich fast zu Tode erschrocken und habe Angst, daß ich jetzt vaporisiert oder zu Anti-Materie-Knödel verarbeitet werde. Meine Fassung gewinne ich in der Regel erst wieder, wenn ich das vertraute rote Gummiband am oberen Ende der vermeintlichen Weltraumwaffe sehe.

Mit solchen Gummibändern sichern sich die meisten SchaffnerInnen davor, daß ihr „mobiles Terminal“ plötzlich aufspringt, die Fahrkartenrolle hinaushüpft und unter dem Gelächter vorlauter Jung- Fahrgäste von dannen kullert.

Wie gesagt, mich beruhigen solche Gummibänder. Denn sie erinnern mich an meine Grundschulzeit. Damals sicherte ich meinen Mengenlehre-Kasten mit solchen roten Bändern, um zu verhindern, daß sich die bunten Klötzchen und Stäbchen in meine Schultasche ergießen.

Und mal ehrlich, ist es nicht schön und beruhigend, auch in modernen und unübersichtlichen Zeiten immer wieder so ein Relikt aus unserer Jugend zu erblicken? Vielleicht ist das auch der tiefere Sinn der roten Gummibänder. Wahrscheinlich hat einE einfühlsame Bahn- PsychologIn nach Auftreten der ersten schreckindizierten Herzattacken angeordnet, die mobilen grauen Vaporisierer etwas menschlicher zu gestalten.

Was aber lernen wir hieraus für unseren politischen Alltag? Wenn die Menschen zuviel Angst vor dem Neuen haben, muß man ihnen etwas Vertrautes mit auf den Weg geben. Konkret: Rot-Grün kann auf Bundesebene nur erfolgreich sein mit Norbert Blüm als Sozialminister. Denn ist Blüm nicht wie unser kollektives Gummiband? Von verblichen roter Couleur, sehr flexibel und irgendwie schon immer da? Christian Rath

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