■ Querspalte: Schreiben und treiben
Bodo Kirchhoff ist literarischer Fachmann für hormongesteuertes Verschwinden. Gern und oft ziehen sich seine Helden an stille Orte zurück, um Hand an sich zu legen. Bei ihm sind schreiben und treiben so sehr eins, daß er in Kollegenkreisen den Kämpfernamen „Wichser-Bodo“ erhielt. Der Mann hat also einen Ruf zu verlieren, und sei es nur den einer schreibenden Hormondrüse. Jetzt wollte Bodo sich selbst „partiell zum Verschwinden“ bringen. Foucault und so, das Autorbild als Konstruktion. Kapiert? Warum sich also nicht zur Abwechslung Odette Haussmann nennen und auf der Insel Reunión als Tochter einer Deutschen und eines Franzosen geboren sein? Warum nicht als hochsensitives, schizophrenes Wesen in London leben? Warum nicht für die PR-Abteilungen ein trauriges Jugendbild der Mutter hervorkramen?
Gedacht, getan: Ich ist eine andere. Odette schrieb das Drama „Mach nicht den Tag zur Nacht“, der Fischer Theaterverlag veröffentlichte das Stück, und für die Autoren-Theatertage Hannover wählte Juror Wolfgang Höbel es unter 193 Einsendungen aus, weil es „mit dem Mut zur Banalität das Machtverhältnis zwischen Mann und Frau ausleuchtet“. Kommt uns das nicht bekannt vor? Und wenn nach wenigen, Banales ausleuchtenden Seiten Babysitterin Mariam den Kopf ihres Arbeitgebers Thomas umfaßt und spricht: „Schau, du kannst beim Höhepunkt explodieren oder implodieren (...). Du mußt beides verbinden können. Mir läuft es über den Bauch, über die Brust, über den Mund, über Scheitel und Nacken ...“ etc.pp. — wem läuft es da nicht eiskalt über den Rücken? Odette oder Bodo? Ich oder Nicht-Ich? Alles ist nichtig. Bodo bleibt auch als Odette seiner hormonellen Bestimmung treu. Warum da erst Focus kommen mußte, um die nackten Fakten zu enthüllen? Kirchhoff war untröstlich über die Demaskierung. Seinem Stück sei damit „Schaden zugefügt“ worden. Wahrscheinlich wollte er es vor sich selbst schützen. Aber das kann bei einem Triebtäter nicht gelingen. Jörg Magenau
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