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■ QuerspalteDer Suff und die Werbung

Zuerst die gute Nachricht: 770 Millionen Mark haben die hiesigen Brauereien im vergangenen Jahr für Reklame ausgegeben, schlappe 70 Millionen mehr als 1995 – und gebracht hat es nichts, weil der Bierkonsum im selben Zeitraum um vier Liter pro Kopf zurückging.

Was daran so schön ist? Wer, wie ein besonders unsympathischer Vertreter des Bierkapitals, Tina Turner als Model rekrutiert; wer die Rhetorik und Ästhetik seiner Werbung grundsätzlich auf Menschen abstimmt, die „Ballermann 6“ für den geilsten Ort der Welt, „ran“ für die beste Fernsehsendung aller Zeiten und die Spice Girls für verrucht halten – der hat es nicht besser verdient.

Und jetzt die schlechte: Die Mitglieder der Bundesärztekammer, offensichtlich nicht mehr nüchtern, wollen lieber nichts wissen von der unter medizinischen Aspekten ja nicht unerfreulichen Bedeutungslosigkeit der Alkoholwerbung und verlangen statt dessen, die Reklame für geistige Getränke schlichtweg zu verbieten. Auch die Vorstandsvorsitzende der Deutschen Hauptstelle gegen die Suchtgefahren, die den schönen Namen Anna Fett trägt, hat sich in den Schützengraben begeben. Sie unterstützt die Forderung mit dem Hinweis darauf, daß „2,5 Millionen Menschen bereits behandlungsbedürftig alkoholkrank“ seien.

Selten ist Moral so billig verramscht worden: Natürlich wird Alkoholwerbung niemals verboten, denn sonst würde ja das Privatfernsehen untergehen. Abgesehen davon, hat ein „behandlungsbedürftiger“ Alkoholkranker – was ist eigentlich ein „Kranker“, der nicht „behandlungsbedürftig“ ist? – allerlei Gründe, nicht aufzuhören mit dem Schlucken, egal ob er ein Junkie ist oder ein sogenannter Partylöwe. Von der Reklame hängen sie jedenfalls nicht ab – außer natürlich, wenn der Säufer selber welche macht. So gesehen gibt es nur ein wirkungsvolles Mittel gegen den Alkoholismus: nicht keine, sondern bessere Alkoholwerbung. Wenn die Werber endlich gutes Zeug produzieren dürfen, müssen sie nicht so viel Trost bei der Flasche suchen. René Martens

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