■ Querspalte: Polnisches Leistungsprinzip
Joachim Gauck stellen sich viele Polen als einen „großen Lustrator“ vor, der durch die Lande zieht und hier und da einem armen Menschen seine Stasiakte um die Ohren haut. Vergangenheitsbewältigung made in Germany sollte es in Polen nicht geben. Doch die polnische Variante „Ene mene muh, und raus bist du“, mit der die Richter für das „Lustrationsgericht“ bestimmt werden sollten, ist auch nicht gerade das Gelbe vom Ei.
Nun zuckte nämlich der Justizminister mit den Schultern: „Lustracja? Is nich. Zu wenige Richter wollen den Job übernehmen.“ Genau das wollten die Postkommunisten erreichen, die die Mehrheit im Parlament stellen. Denn in der ersten Runde sollten sich die Richter selbst verpetzen: „Der war aber bei der Stasi!“ Während sich schon die Nation auf die Berge schmutziger Wäsche freut, die nun gewaschen würden, fragt der Justizminister scheinheilig: „Wer von den Richtern dieses Landes ist bereit, die Vergangenheit der künftigen Parlamentarier und Minister zu durchleuchten?“ Betretenes Schweigen in allen Gerichtssälen. Der eine Richter urteilt gerade einen großen Banditen ab, der nächste studiert intensiv die Akten, wieder ein anderer analysiert angestrengt den Fleck auf dem Fußboden.
Der Justizminister läßt ein donnerndes „Na!“ erschallen, doch statt eines zackigen „Jawoll, Herr Minister!“ hört er nur ein unbeteiligt-melodiöses „Düdülü“.
Die Abgeordneten verstehen angeblich die Welt nicht mehr. So eine schöne Stellenausschreibung, und niemand will den Job. Vier Jahre Urlaub von allen Freunden und der Familie – wer hat das schon? So eine kleine Trennung hat schon manche Ehe wieder auf Trab gebracht. Und das neue Leistungsprinzip ist doch prima: Wer Leistung bringt, soll dafür bezahlen! Denn die Mehrkosten, die sich aus der Arbeit im teuren Warschau ergeben, darf der Richter selbst tragen.
Statt mindestens 21 haben sich nur 11 Richter bereit gefunden, die „nationale Aufgabe“ zu übernehmen. Gefreut haben sich alle polnischen Stasispitzel. Die Sektkorken knallten nur so. Gabriele Lesser
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