■ Querspalte: Worte folgen Visionen
Ist Prinzessin Diana noch auf dieser Welt? Ist sie tot? Oder irgend etwas dazwischen? Als ihr Leichnam im St.-James- Palast aufgebahrt wurde, kursierte die Nachricht, daß ihr Gesicht auf einem Porträtgemälde von Charles I. am Ausgang des Palasts erschienen sein soll. Gut ein Dutzend Menschen wollen sie gesehen haben. Für die einen hatte sie ein rotes Kleid an, die anderen sahen ihr Gesicht.
Bei Menschen mit starker anschaulicher Phantasie, so das dtv-Lexikon, können Zustände von starker Erregung zu Visionen, Erscheinungen führen. Das bringt uns zu Roman Herzog. Vor fünf Monaten hatte der Bundespräsident seine Erscheinung im Berliner Hotel Adlon. Herzog meinte, die Deutschen hätten die Kraft und den Leistungswillen, sich am eigenen Schopf aus der Krise zu ziehen. „Ich glaube an ihre Fähigkeit, Visionen zu verwirklichen.“ Wir müßten uns nur trauen, sagte der Bundespräsident.
Was uns stracks zu Gerhard Schröder führt. In einem Jahr und sieben Tagen will der Noch-Ministerpräsident Helmut Kohl ablösen. Schröder schrieb Montag ein langes Papier, 25 engbedruckte Seiten. Die Sozialdemokraten, vernehmen wir, seien bereit, „zukunftsorientierte Antworten“ zu geben. In ihrem wirtschaftspolitischen Leitantrag „Innovationen für Deutschland“ formulieren Schröder und Genossen „Visionen“. Im November berät der Parteitag das Papier. Wird sich die SPD zu einer eingeschworenen Gemeinschaft von Sehern gerieren?
Trugbilder, so das Lexikon, entstehen auch durch heftiges Anstarren eines Fixpunktes. Politikervisionen kündigen gesellschaftliche Erscheinungen an. Noch 2.954.880 Sekunden, und es beginnt die Innovation der Zukunft?! Für Menschen, die nicht von Erscheinungen geplagt werden, kaum faßbar.
John F. Kennedy hat einmal gesagt: Unsere Probleme sind von Menschen gemacht, darum können sie auch von uns Menschen gelöst werden. Dafür braucht es weder Erscheinungen noch Trugbilder. Ideen und Vorschläge würden für den Anfang schon reichen. Annette Rogalla
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