■ Querspalte: Ost-Faulpelze
Gedenktage sind prima. Am „Internationalen Tag des Touristen“ (27.9.) gibt es beispielsweise leckere Bonbons an den Hotelrezeptionen der touristisch erschlossenen Welt. Nur am Tag der deutschen Einheit macht man sich schwere Gedanken über den Ostler.
Ostler also: einerseits und andererseits, für und wider, pro und contra. Treu schaut er aus und so lieb; was geht nur in seinem niedlichen, kleinen Lockenköpfchen vor. Dr. Thomas Roether weiß es. Dr. Thomas Roether (54), Sozialwissenschaftler in Hannover, unerschrockener Erforscher des europäischen Einigungsprozesses. Gefürchtet sind seine messerscharfen Analysen. Dr. Thomas Roether also hat Wesen und Denke – wie man im Westen so sagt – des Ostlers in einem kontroversen Aufsatz in der Woche beschrieben.
Ein unverschämter Kerl, dieser Ostler, Barbar und Schmarotzer, „ein maßloses, von Hybris durchsetztes Geschöpf, das nicht eine einzige Verantwortung trägt“, eine „parasitäre Lebensform“, eklig greint er so daher und hat nie gelernt, „daß man arbeiten und haushalten muß“. Dumpf vor sich hinstierend plündert er unseren westdeutschen Staat und sagt nicht mal danke. An seiner wesensmäßigen Faulheit ging schon die DDR zugrunde; froh reißt er auch noch das schöne Westdeutschland in den Abgrund.
Man hat gar keine Lust, lehrerhaft darauf hinzuweisen, daß gerade die parasitären Westbranchen – Banken, Versicherungen, Manager, Politiker – am Osten prima verdient haben, daß es mit den Arbeitsmöglichkeiten im Osten nicht so gut aussieht, oder womöglich darauf zu bestehen, daß der Ostler an sich ja ein sehr arbeitsames und folgsames Geschöpf sei. Denn irgendwie gefällt einem das Bild des leistungsverweigernden, faulen Ostlers, das der von meinen Steuergeldern schmarotzende Dr. Thomas Roether entwirft, und in dem er recht eigentlich doch als Statthalter des Humanen, vom inhaltslosen Arbeitswahn noch nicht unterworfene Widerstandsfigur erscheint. Reste der Utopie überwintern in seinem Bestehen auf Faulheit. Der Ostler, ein Statthalter des Humanen. Nur leider stimmt das ja auch nicht und ist so ausgedacht wie der Rest der sogenannten Ost-West-Diskussion. Detlef Kuhlbrodt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen