■ Querspalte: Schamrot
Unterstellen wir einfach mal, daß es in bundesdeutschen Rathäusern Beamte gibt, die schon lange über einer heiklen Frage grübeln: Wie finden wir einen Dreh, um hier ein Porträt des alten Nazibürgermeisters ausstellen zu können? Vielleicht gibt es ja auch irgendwo im Kanzleramt einen kleinen Chargen, der gern Hitler hängen sähe, oder im Bundesaußenministerium jemanden, der sich einen gemalten von Ribbentrop als Wandschmuck vorstellen kann.
Sie alle schauen hoffnungsfroh auf die Friedrich-Schiller- Universität zu Jena, wo am kommenden Sonnabend ein Bild von Karl Astel an die Wand gehängt wird. Der war zwischen 1939 und 1945 Rektor der Hochschule und wirkte darüber hinaus als Rassenkundler – kurzum: jemand, dessen Visage in Thüringen vor nicht allzu langer Zeit noch nicht allzu viele Leute hatten sehen wollen.
Um die Ewiggestrigen, die das immer noch nicht wollen, ruhigzustellen, haben sich die Uni und die von ihr beauftragte Malerin etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Auf dem Gemälde, so verlautbarte die Hochschule vorab, sähe man – vor bräunlichem Hintergrund! – einen Jungen mit „schamrotem Gesicht“, der ein Foto Astels betrachte. Dadurch, so die universitären Kunstexperten, schaffe man eine „Distanz“ zum Rassenideologen. Außerdem werde das Bild, das im Besitz der Künstlerin bleibe, nicht in einer Reihe mit Porträts der sauberen Exrektoren, sondern gesondert plaziert.
Was mag die Message der Malerin an die Studenten sein: Wir schämen uns dafür, daß unserer großen Hochschule in dunklen Zeiten ein Verirrter vorstand? Tja, früher war die Gesinnung rot, heute sind es nur noch die Gesichter – staatlich verordneter Antifaschismus ist out, angesagt ist bundespräsidentenkompatible Schamarbeit. Gespannt sein darf man auch darauf, welches Image von Astel das Gemälde vermittelt: Blickt er drein wie ein besessener Rassenkundler – oder wie der väterliche Rektor, der eigentlich nur das Beste für seine Studenten wollte? René Martens
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