■ Querspalte: Dobbelt gemobbelt
Wer gestern abend nicht bei Siemens war, hat was verpaßt: Die „weltweit preisgekrönte Doppelgänger Live-Show“ nämlich, mit der das „Existenz Gründer Institut“ seinen leicht größenwahnsinnigen Slogan „Stell Dir vor, es gibt Jobs, und du hast sie geschaffen!“ vorstellte. Um den Existenzgründern zu zeigen, daß in der Wirtschaft allein die schönen Scheine zählen, wurde tief in die Trickkiste der Illusionisten gegriffen: Nicht nur täuschten die Doubles der Pop-Ikonen Elton John und Madonna einen Auftritt vor, auch sonst wurde kräftig an der Fassade nach Art der Potemkinschen Dörfer gefeilt: Als Festredner trat Elmar Pieroth auf, der täuschend echt einen Wirtschaftssenator nachmachte. Gastgeber war die Siemens AG, die erfolgreich so tut, als sei sie ein Elektronikkonzern und keine Bank. Geladen waren die Uni-Präsidenten, die seit langem erfolgreich Hochschulpolitik doubeln. Unter sie mischten sich die Wirtschaftskapitäne auf großer Fahrt, die mit doppeltem Stimmrecht in den Aufsichtsräten den Anschein erwecken, sie wüßten, was sie tun. Selbst der Siemenssche Eichensaal war gerüchteweise nur mit billigem Furnier ausgekleidet. Am Buffet debattierte man doppelzüngig zwischen Doppelkorn und Doppelkinn die Entwicklung bei den Scheinselbständigen. Einhellige Meinung: Wer für den doppelten Gewinn die Belegschaft halbiert und sich dennoch dem Zorn der Entlassenen stellt, sollte sich für diesen gefährlichen Auftritt von einem Profi-Stuntman doubeln lassen. Und wenn das branchenübliche Mobbing nicht hilft, wird eben aus der Chefetage dobbelt gemobbelt. Der Ort war für das Spektakel gut gewählt: Nicht etwa, weil dies die „Gründerhauptstadt“ ist, wie die Organisatoren verkündeten; viel eher, weil auch Berlin seit Jahren so tut, als sei es etwas anderes als Berlin: eine Metropole nämlich. Bernhard Pötter
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